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Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Titel: Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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Menschen einem grausigen Schicksal zum Opfer gefallen waren, war dermaßen unwahrscheinlich, daß es – bis auf weiteres jedenfalls – als ausgeschlossen gelten mußte.
    Sie fuhr zusammen, als Hauptkommissar Kaldbakken das Zimmer betrat, und knallte rasch die Füße auf den Boden.
    »Zuwenig zu tun, Wilhelmsen«, brummte er. »Komm ruhig zu mir und hol dir neue Beschäftigung.«
    »Nein, um Himmels willen!«
    Trotz des mürrischen Auftretens ihres Chefs und der wenig vorteilhaften Situation, in der er sie erwischt hatte, wußte sie, daß er wußte.
    »Ich habe mehr als genug. Das geht uns allen so.«
    Der Chef setzte sich.
    »Bist du mit der Vergewaltigung vom Samstag schon weitergekommen? Bei diesem weiblichen Studenten?«
    Hauptkommissar Kaldbakken war sicher einer der letzten, die Studentinnen als »weibliche Studenten« bezeichneten. Angeblich trug er auch am Nationalfeiertag seine alte Studentenmütze.
    »Nein, das kann ich nicht sagen, es ist das Übliche. Niemand hat etwas gesehen, niemand etwas gehört. Sie selbst kann nur eine sehr vage Beschreibung liefern. Du hast die Zeichnung ja gesehen, so sieht wirklich alle Welt aus. Wir haben an die fünfzig Tips bekommen, die Erik durchgesehen hat. Keiner scheint besonders interessant zu sein. Sagt er wenigstens. Ich gehe sie auch selbst noch mal durch.«
    »Das gefällt’ mir alles nicht«, sagte er mit belegter Stimme, danach hustete er vier Minuten lang.
    »Du solltest mit dem Rauchen aufhören, Kaldbakken«, sagte sie leise und stellte fest, daß er sich anhörte wie ein Lungenemphysem im letzten Stadium. Sie selbst sollte auch aufhören. Wirklich.
    »Das sagt meine Frau auch«, antwortete er mit halberstickter Stimme und räusperte sich abschließend so kräftig, daß vermutlich allerlei Schleim von ekelhafter Konsistenz nach oben transportiert wurde.
    Hanne Wilhelmsen wandte sich taktvoll ab und betrachtete zwei Spatzen, die auf der Fensterbank aufeinander loshackten. Auch denen war es wohl zu heiß.
    »Das gefällt mir alles nicht«, wiederholte er. »Überfallsvergewaltigungen kommen selten allein. Hast du schon was aus der Gerichtsmedizin gehört?«
    »Nein, das ist noch zu früh. Die brauchen doch immer Wochen!«
    »Dann mahn das mal an, Wilhelmsen. Mahn das an. Ich mache mir wirklich ziemliche Sorgen.«
    Mühselig stand er auf und hustete sich in sein eigenes Büro zurück.

DONNERSTAG, 3. JUNI
    Es war gar nicht einfach, sich so plötzlich frei zu nehmen. Aber seine beiden Kollegen hatten großes Verständnis gezeigt. Schnell entschlossen und wohlwollend hatten sie kurzfristig seine Patienten übernommen. Das bedeutete einen Einkommensverlust. Andererseits: Er hatte sich schon seit vielen Jahren keinen richtigen Urlaub mehr gegönnt.
    Wenngleich – Urlaub … Er hatte viel zu tun. Womit er anfangen sollte, war vorerst jedoch ziemlich unklar. Deshalb ging er erst einmal schwimmen. Selbst jetzt, um sieben Uhr morgens, war das Schwimmbad überraschend gut besucht. Schwer hing der Chlorgeruch über den Schwimmenden, sicher war gerade erst nachgefüllt worden. Einige Leute kamen ihm vor wie Stammgäste, sie grüßten einander und plauderten ein wenig am Beckenrand. Andere waren zielbewußter, schwammen hin und her durch das fünfzig Meter lange Becken, ohne auf andere zu achten oder irgendwen anzusehen. Sie schwammen einfach, schwammen und schwammen. Er auch.
    Nach hundert Metern war er müde. Nach zweihundert Metern ging ihm auf, daß er nicht nur älter wurde, sondern langsam auch zu fett. Nach zwei weiteren Bahnen ging es wieder besser. Er hatte einen Rhythmus gefunden, den sein Herz hinnehmen konnte. Sein Rhythmus war viel träger als der der anderen Schwimmer, die immer wieder prustend an ihm vorüberzogen. Die muskulösen Oberkörper zogen Kielwasser hinter sich her wie schwere Schiffe im Miniaturformat. Er hängte sich an die Heckwelle einer grellen Badehose. Nach siebenhundert Metern fühlte er sich bereit. Es war ein seltsamer Tagesanfang, etwas Neues, anderes, und er konnte sich nicht erinnern, wann er sich zuletzt Zeit dafür genommen hatte. Er hievte sich auf den Beckenrand, zog den Bauch ein und streckte die Brust heraus. Das schaffte er nur bis zur Treppe zu den Garderoben. Er ließ die Luft durch zusammengepreßte Zähne entweichen und den Oberkörper in seine angestammte Lage zurücksinken.
    In der Sauna fand er Trost. Die anderen, die bei fast hundert Grad mit geröteter Haut dasaßen, sahen auch nicht besser aus. Während er, mit züchtig

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