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Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Titel: Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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lukrative Beruf nach zwanzig Jahren sozialdemokratischer Volkszahnpflege weniger einträglich geworden war. Aber er hatte überlebt. Die Mitte der siebziger Jahre hatte im Zeichen der Frauenbewegung gestanden, und paradoxerweise hatte ihm das geholfen. Ein alleinstehender Vater, der darauf bestand, sich um seine Tochter zu kümmern, konnte mit jeglicher Unterstützung durch die Behörden, mit großer Sympathie seitens seiner Umgebung und mit Hilfe und Solidarität von Kolleginnen und Nachbarinnen rechnen. Er hatte überlebt.
    Es hatte nicht viele Frauen in seinem Leben gegeben. Er war zwar die eine oder andere Beziehung eingegangen, aber lange hatte keine gedauert. Dafür hatte Kristine gesorgt. Bei den drei Gelegenheiten, da er es gewagt hatte, ihr eine potentielle Stiefmutter vorzustellen, hatte sie mürrisch jeglichen Versuch der Anbiederung abgewiesen. Und immer hatte sie gewonnen. Er liebte seine Tochter. Natürlich wußte er, daß alle Männer ihre Kinder lieben und daß er sich in dieser Hinsicht wohl kaum sonderlich von der übrigen männlichen Bevölkerung Norwegens unterschied. Gefühlsmäßig bestand er jedoch sich selbst und seiner Umgebung gegenüber darauf, daß die Beziehung zwischen ihm und seiner Tochter etwas Besonderes sei. Sie hatten einander. Er war Vater und Mutter für sie gewesen. Er hatte bei Krankheiten an ihrem Bett gewacht, hatte für saubere Kleider gesorgt und den Teenager getröstet, als die erste Liebesgeschichte nach drei Wochen kläglich geendet war. Als ihm die Dreizehnjährige mit einer Mischung aus Freude und Furcht ihre blutbefleckte Unterhose gezeigt hatte, hatte er sie zu Filetsteak und mit Wasser verdünntem Rotwein in ein Restaurant eingeladen, um die Tatsache zu feiern, daß seine kleine Tochter nun zur Frau wurde. Und er hatte zwei Jahre lang alle BH -Wünsche abschlagen müssen, da die dafür vorgesehenen Mückenstiche so klein waren, daß jeder BH lächerlich gewirkt hätte. Er hatte sich allein über die großartigen schulischen Leistungen seiner Tochter freuen müssen, hatte allein den bitteren Schmerz ertragen, daß sie lieber mit Freunden feiern wollte, als sie an einem Sommertag vor vier Jahren ihren Medizinstudienplatz an der Uni Oslo bekommen hatte.
    Er liebte seine Tochter, kam aber nicht an sie heran. Als er sie abgeholt hatte, war sie bereitwillig mitgekommen; sie selbst hatte darum gebeten, daß er verständigt würde. Sie wollte also nach Hause. Zu ihm. Aber sie sagte nichts. Versuchsweise hatte er auf dem Heimweg im Auto nach ihrer Hand getastet, und sie hatte ihn nicht abgewehrt. Aber das war keine Antwort, es war einfach eine schlaffe Hand, die sie passiv in seiner ruhen ließ. Es war kein Wort gefallen. Zu Hause hatte er versucht, sie mit einer Mahlzeit aus sich herauszulocken: Frischgebackenes Brot, Roastbeef und Krabbensalat, was sie beides liebte, dazu seinen besten Rotwein. Sie hatte dem Wein zugesprochen, das Essen jedoch stehenlassen. Nach drei Glas hatte sie den Rest in der Flasche mitgenommen, sich höflich entschuldigt und sich in ihrem Zimmer verkrochen.
    Das war drei Stunden her. Kein einziger Laut war aus ihrem Zimmer zu hören. Steif erhob er sich vom Sofa. Es kam aus den USA und war niedrig und viel zu weich. Die Kerzen, die im hellen Frühlingsabend heruntergebrannt waren, erloschen mit einem letzten Zischen. Er blieb vor der Kinderzimmertür stehen und wartete mehrere Minuten ganz still ab, ehe er es wagte, anzuklopfen. Keine Antwort. Er wartete noch einige Minuten, dann beschloß er, sie in Ruhe zu lassen.
    Und ging ins Bett.
    In einem gelben Kinderzimmer mit karierten Vorhängen saß Kristine Håverstad mit einem Bären auf dem Schoß und einer leeren Rotweinflasche vor sich auf einem weißlackierten Tisch. Das Bett war schmal, und sie hatte Krämpfe in den Beinen, nachdem sie stundenlang in Lotusstellung gesessen hatte. Die Krämpfe waren ihr willkommen. Sie wurden immer schlimmer, und sie konzentrierte sich darauf, den Schmerz voll auszukosten. Alles andere verschwand, sie spürte nur den stechenden, schmerzhaften Protest ihrer Glieder, die schon lange nicht mehr ausreichend durchblutet waren. Schließlich konnte sie es nicht mehr ertragen; sie legte sich aufs Bett und streckte die Beine aus. Der Schmerz steigerte sich noch, als das Gefühl in ihre Waden zurückbrauste. Sie packte mit beiden Händen ihren Oberschenkel und umklammerte ihn so hart, daß ihr die Tränen in die Augen traten. Das alles tat sie, um den Schmerz anhalten zu

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