Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Selige Witwen

Selige Witwen

Titel: Selige Witwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
Vom Netzwerk:
Straße hinunter. Falls er seinen Wagen in die Garage fahren wollte, würde er sofort entdecken, daß sie nicht mehr zugesperrt war. Mit angehaltenem Atem lauerten wir hinter den Vorhängen. Kopfschüttelnd stieg Hilter jedoch zum zweiten Mal aus, ging wieder hinauf und schloß die Haustür ab, offenbar von außen. Dann brauste er davon.
    Im Erdgeschoß hörten wir Seng Aroon in fremder Sprache mit der Katze reden.
    »Los«, sagte Cora. »Mit der kleinen Mrs. Hilter wirst du dreimal fertig.«
    »Die ist auf unserer Seite«, sagte ich. »Bleib du erst einmal hier oben bei Kathrin!«
    Vor Seng Aroon fürchtete ich mich nicht und erachtete es deshalb nicht für nötig, die Treppe hinunterzuschleichen.
    Doch sie war auf die Knie gesunken, hielt die zusammengepreßten Hände gegen die Brust und zitterte vor Angst am ganzen Körper - bis sie mich endlich wiedererkannte. Ohne ihre Stöckelschuhe wirkte sie winzig klein; zierlich ragten die nackten Füße aus den weiten Hosen, gegen die sie den Minirock unverzüglich eingetauscht hatte. Beruhigend strich ich ihr über das Haar. Als sie sich wieder gefaßt hatte, deutete sie nach oben: »White miss and black miss in prison!«
    Ich lief zum Treppenaufgang und rief nach Cora.
    Seng Aroon erschreckte sich zum zweiten Mal, als eine fremde rothaarige Frau heruntergestürmt kam. Um ihr
    verständlich zu machen, wie wir in ihr Haus eingedrungen waren, zeigte ich ihr unsere Dietriche und sagte »garage entrance «, dann umarmte ich Cora demonstrativ und beteuerte »good friend« und tat im Anschluß dasselbe mit Seng Aroon.
    Als wir die Thailänderin über den Tod der Afrikanerin informierten, fing sie an, am ganzen Leib zu beben: »They killed Mango«, schluchzte sie. Dann erklärte sie mit
    Entschlossenheit ihren Willen zu tatkräftiger Kooperation. Gemeinsam schleppten wir Kathrin hinunter. Seng Aroon schien sich inzwischen auf ganz pragmatische Weise Gedanken über unsere Flucht zu machen, denn sie fragte: »You have car?«
    Da ich bejahte, lief sie sofort in den Keller und hielt uns das Tor auf, damit Cora den Ferrari in die Garage fahren konnte. Von den Nachbarn unbemerkt, betteten wir die ohnmächtige Kathrin ins Auto und wollten eigentlich sofort das Weite suchen, um ihre medizinische Versorgung nicht zu verzögern.
    Als ich einsteigen wollte, klammerte sich Seng Aroon heftig an mich und bettelte: »Please take me with you!« Ich wußte nicht recht, wie ich mich verhalten sollte, aber Cora blieb gelassen. »Wenn's weiter nichts ist! Okay«, rief sie »no problem!« Ohne mich um meine Meinung zu fragen, wies sie der barfüßigen Thaifrau den Beifahrersitz an. Zu viert verließen wir den unguten Ort.
    Eigentlich wollten wir unverzüglich die nächste Unfallstation ansteuern und dem Notarzt eine Notlüge auftischen.
    Bevor wir aber geklärt hatten, welches Krankenhaus zuständig war, regte sich Kathrin. »Sie haben mir eine Spritze gegeben«, lallte sie. »Von da an weiß ich gar nichts mehr.
    Wo wollt ihr eigentlich hin?«
    »Vor zehn Minuten ist mein Flieger gestartet«, stellte Cora fest, »deswegen können wir uns den Flughafen schenken und direkt nach Darmstadt fahren.«
    Bald darauf saßen wir zu viert in der WG-Küche. Ich kochte Tee für uns alle. Keiner der Bewohner war zu Hause. Kathrin erzählte in schleppender Sprechweise, wie man sie - genau wie mich - vor der Volkshochschule abgefangen und direkt zu Sven Hüters Haus gebracht hatte.
    Seng Aroon faßte erst mich, dann Cora und Kathrin am Handgelenk und sagte zu jeder von uns feierlich: »You are my sister!«
    Alle mußten lächeln, und Cora versuchte, ihr unsere Namen beizubringen.
    »Seng Aroon means rising sun«, wisperte die Thaifrau, immer noch ein wenig schüchtern, »my nickname is Pu!«
    Ermuntert durch unsere Fragen, begann sie uns radebrechend von ihrer Kindheit im Nordosten Thailands zu erzählen.
    Ihre Mutter war früh Witwe geworden und mußte acht Kinder mit ihrer Arbeit auf den paddyfields ernähren.
    »Das sind Reisfelder«, informierte uns Cora, die ja immer alles wußte.
    Als Pu berichtete, wie sie als Jüngste der Geschwister regelrecht verkauft worden war, kamen Kathrin die Tränen.
    »Und wie soll es nun weitergehen?« fragte ich. »Wohin sollen wir unsere neue Freundin bringen? Ihren Paß hat Hilter bestimmt weggeschlossen. Sie kann nicht so ohne weiteres ins Ausland verschwinden.«
    Cora zuckte mit den Achseln, Kathrin meinte, sie fühle sich wie gerädert und müsse ein wenig schlafen. Danach

Weitere Kostenlose Bücher