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Selige Witwen

Selige Witwen

Titel: Selige Witwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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mitzumischen.
    Im Gegensatz zu mir war Cora mutig, ja tollkühn. Oder sollte man es Dummheit nennen? War Angst nicht ein natürlicher
    Instinkt, auf den man hören sollte? Ich brach meine philosophischen Gedanken ab und folgte meiner Freundin blindlings. Die Alphawölfin hätte mich sonst für immer aus ihrem Rudel weggebissen.
    Ohne Zögern stieg sie die Treppe zum Erdgeschoß hinauf.
    Insgeheim hoffte ich, auf eine von innen dreifach verriegelte Tür zu stoßen. Aber als Cora oben ankam, drückte sie bloß die Klinke hinunter. Wir standen in einem kleinen Flur, von dem aus Küche, Toilette, Wohn- und Eßzimmer abgingen. Das Haus wirkte unbewohnt; die Frage war nur, wie lange noch.
    »Einen erlesenen Geschmack hat dein Folterknecht«, flüsterte Cora und betrachtete mit süffisantem Grinsen die Wohnwand mit eingebauter Bar und fünf Bücherbrettern, auf denen ein paar Briefmarkenalben, eine Kollektion Pornovideos, eine geschnitzte Nubierin und eine Sammlung zinnerner Pokale aufgereiht waren. Der Waffenschrank in der Ecke war verschlossen. Schreckhaft zuckte ich zusammen, als das Telefon klingelte, und noch viel mehr, als eine Geisterhand die angelehnte Tür unendlich langsam öffnete.
    Eine Siamkatze schlüpfte herein, rieb sich an Coras Beinen und schnurrte, während ich sehr blaß in den nächsten Sessel sank.
    »Komm«, zischte ich, »jetzt ist nicht der Moment, fremde Miezen zu kraulen. Gehen wir hinauf und bringen es hinter uns!«
    Im oberen Stock gab es außer einem Bad mit schwarzen und bonbonrosa Fliesen ebenfalls drei Zimmer: ein kleines Büro mit Akten auf dem Schreibtisch, ein Schlafzimmer mit einem runden Wasserbett und einen weiteren Raum, in dem ein
    braunes Cordsofa mit Brandlöchern und ein zweiter
    Fernsehapparat standen. An der Wand hing ein Poster mit der
    Aufschrift Amazing Thailand. Auch hier war leidlich
    aufgeräumt, von Kathrin keine Spur.
    »Du hast doch das Handy dabei, sollen wir nicht versuchen, Felix und Andy um Hilfe zu bitten?« fragte ich mit klopfendem Herzen.
    Cora reagierte mit ärgerlichem Kopfschütteln. »Merk dir ein für allemal: Wenn du dich mit schwachen Männern abgibst, versuchen sie sofort, dir das Mark aus den Knochen zu saugen, um selbst zu erstarken. Am Ende sind sie zu Riesen geworden, und du bist nur noch ein Schatten deiner selbst. Männer sind Vampire! Laß die Finger davon!« Bei diesen Worten schlug sie heftig mit dem Kreuzschlüssel auf das glucksende Wasserbett ein.
    Dies war nun wirklich nicht der Augenblick, um über Vor-und Nachteile unserer Hausgenossen ein Streitgespräch zu beginnen. Im Moment hätte ich auch den schwächlichsten Mann an meiner Seite willkommen geheißen.
    »Laß uns abhauen«, bat ich inständig, »es ist vertane Zeit und vielleicht sogar lebensgefährlich, hier noch länger zu bleiben.«
    »Schnauze«, herrschte Cora mich an, »hörst du nichts?«
    Das leichte Kratzen, das ich nun auch vernahm, rührte von der Katze her, die sich neben einem hohen Wandspiegel beim Spiel mit einem Stückchen loser Tapete vergnügte.
    Wie bei Kathrins Rosenbildern, die einen wertvollen Schatz verbargen, tarnte die Blumentapete eine Wand aus Sperrholz, auf die uns die Katze aufmerksam machte. Der Spiegel verdeckte eine Tür, die ich mit zittrigen Händen öffnete.
    In einem engen, fensterlosen Abstellraum lagen zwei gefesselte Frauen.
    Die eine war Kathrin. Als wir frische Luft hereinließen, ihre Fesseln abnahmen und ihr Wasser auf die Stirn spritzten, kehrte ein wenig Farbe ins Gesicht zurück, und sie atmete hörbar, ohne das Bewußtsein zu erlangen. Wie gern hätte ich ihren tiefen Seufzer vernommen. Meine Freundin wandte sich dem zweiten Opfer zu, aber die Unbekannte, eine Afrikanerin, hatte weniger
    Glück gehabt. »Die ist hin«, meinte die coole Cora, und plötzlich war es um ihre Fassung geschehen. Sie heulte unkontrolliert los, ich umarmte sie, doch sie war kaum zu trösten. Diese menschliche Regung war für mich der Anlaß, in Cora meine heißgeliebte Freundin wieder zufinden.
    Als vor dem Haus ein Mercedes vorfuhr, stürzte ich zum Schlafzimmerfenster und spähte durch die Gardine. Sven Hilter und Seng Aroon stiegen aus, die drei anderen Thaifrauen waren offensichtlich im Schwitzkistl geblieben.
    »Um Gottes willen, Cora, sie kommen!« rief ich und wußte so schnell nicht, ob wir fliehen, kämpfen oder letztendlich doch die Polizei rufen sollten. A>er Hilter schloß bloß die Haustür für seine Frau auf und stapfte wieder die Steinstufen zur

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