Selige Witwen
Tiefgeschoß erreicht hatten. Als wir endlich starten konnten, sagte Cora: »Jetzt aber mit Karacho! Wohin geht's denn überhaupt?«
Die notierte Adresse sagte uns beiden zwar nichts, doch zum Glück hatten wir noch eine zweite Chance: Vor uns scherte ein Mercedes aus einer Parklücke, in dessen Fond wir die drei Thailänderinnen erkannten; am Steuer saß Hilter, neben ihm seine Frau. Cora stieß ihren Murmeltierpfiff aus.
»Anscheinend peilen sie den Hauptbahnhof an«, stellte Cora fest, als wir ihnen in die Innenstadt folgten. »Vielleicht werden die drei Ladies gleich wieder umgeladen.« Wir blieben in sicherem Abstand hinter dem Mercedes, bis Hüter unvermutet vor einer privaten Tiefgarage anhielt, deren Gittertor er mittels Fernbedienung öffnete.
Da Cora hier nicht anhalten konnte, fuhren wir bis zum Bahnhof weiter, um dort mit etwas Glück einen Parkplatz zu finden. Erst zwanzig Minuten später waren wir wieder an Ort und Stelle und schlichen mißtrauisch um das Gebäude herum, bis wir schließlich an der Frontseite ein rotes Leuchtschild entdeckten: Resis Scbwitzkistl, Sauna und Massage.
»Soll ich einfach mal klingeln?« fragte Cora übermütig.
Ich zögerte mit meinem Einverständnis. Dies war zwar jenes Etablissement, das auf dem bewußten Streichholzheftchen Reklame machte, aber sollten wir nicht lieber zu der Privatwohnung fahren und dort nach Kathrin suchen?
Etwas unschlüssig standen wir noch vor dem Häuserblock, als aus dem Nachbargebäude eine ältere Frau herauskam.
Höflich fragte Cora nach den Öffnungszeiten der Sauna. Die Fremde schüttelte den Kopf über so viel Naivität.
»Aber Kinder, das ist doch ein Bordell! Macht lieber einen großen Bogen um dieses Haus! Wenn ich nur könnte, würde ich lieber heute als morgen von hier wegziehen. Alle paar Wochen holen sie Nachschub aus Polen, Thailand oder Südamerika«, klagte die Frau, »es ist eine Schande! Manchmal hört man die verzweifelten Mädchen weinen. Aber als ich einmal die Polizei gerufen habe, brannte am nächsten Tag ein Kinderwagen in unserem Hausflur ab.« Als hätte sie bereits zuviel gesagt, machte sie sich eilig davon.
Das war im Grunde nichts Neues. Mit einem Touristenvisum flogen die Frauen für einige Monate nach Deutschland; Seng Aroon war wohl für die Thailänderinnen zuständig, mußte ihnen berechtigte Ängste ausreden und Instruktionen erteilen. Dann bekamen sie wahrscheinlich die Pässe abgenommen und wurden im Schwitzkistl als Prostituierte eingesetzt. Häufig wurden in der Zeitung ähnliche Fälle angeprangert, die sich in der Grauzone zwischen Verletzung der Menschenwürde, Ausbeutung und Sklavenhandel bewegten. Hüter hatte Seng Aroon wahrscheinlich nicht aus Zuneigung geheiratet, sondern nur, um ihre Aufenthaltsgenehmigung zu sichern.
»Wenn die ganze Bande hier versammelt ist, könnten wir inzwischen ganz gefahrlos in ihrem Wohnhaus nach Kathrin suchen«, schlug ich vor. Also beschlossen wir, nicht länger tatenlos herumzustehen, sondern den Wagen zu holen und die notierte Privatadresse anzusteuern. Ein freundlicher Polizist beschrieb uns den Weg.
Sven Hüter wohnte in einer unauffälligen Vorortsiedlung, die sich durch gehobene Spießigkeit auszeichnete. Keine Gartenzwerge, dafür ein gußeiserner Kranich im Vorgarten.
Wir parkten ein paar Häuser weiter und durchwühlten den Kofferraum nach geeigneten Waffen. Außer einem Kreuzschlüssel und der bewährten Taschenlampe hielten wir auch den Metallring mit den Dietrichen, den wir dem Mafioso abgenommen hatten, für nützlich. Da wir an der Haustür kein Glück hatten, probierten wir es schließlich erfolgreich mit dem Garagentor. Aber hatten wir dadurch auch Zugang zu den Wohnräumen?
Von der Garage aus, die im Kellergeschoß lag, führte eine Tür zum Hauswirtschaftsraum, in dem sich Waschmaschine, Trockner, Gefrierschrank und Bügelautomat befanden.
Schnüffelnd öffnete Cora den Kühlschrank und krächzte mit tonloser Hexenstimme: »Beim heiligen St. Kannibal, ich wittere Menschenfleisch!« Obwohl ich nur gefrorene Erbsen, Fischstäbchen, Hamburger, Eiscreme und große Mengen eines asiatischen Fertiggerichts entdeckte, schauderte mir bei ihren Worten, ja, mir wurde richtig übel vor Angst.
Ich befürchtete schon, auf Kathrins Leiche zu stoßen, mir war auch klar, daß wir trotz des Kreuzschlüssels gute Chancen hatten, nicht gerade unbeschwert im Main zu landen.
Mit gutem Grund hatte mir Felix ausreden wollen, in einem derart brisanten Fall weiter
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