Selina - Liebesnaechte in Florenz
nicht sonderlich beeindruckt, winkte nur mehr oder weniger verlegen ab und ritt dann langsam zu den anderen Teilnehmern des Rennens, die sich am Ziel versammelt hatten. Alles wurde still als Lorenzo di Medici die Hände hob und zu sprechen begann.
„Der Sieger des Rennens ist eindeutig. Es war Riccardo Masari, der als erster das Ziel erreicht hat. Ihm gehört der Preis, das Palio.“
Alle sahen hinüber zur Loggia della Signoria, wo Riccardo vom Pferd sprang. Anstatt jedoch den Preis anzunehmen, wandte er sich an die Leute. „Das Rennen konnte ich nur gewinnen, weil Alessandro di Barenza die Gefahr erkannt hat, in der das Kind sich befand. Andernfalls wäre er als erster ins Ziel gegangen. Der Preis gehört also ihm.“
Selina lächelte. Riccardo hatte Recht, aber ein anderer hätte vermutlich nicht so ritterlich gehandelt und den Preis als sein rechtmäßiges Eigentum angesehen. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um Alessandro besser sehen zu können, der nun gemächlich heranritt. Es wurde ganz still auf der Piazza als er sprach.
„Wenn Ihr den Preis nicht annehmen wollt, was ein Beweis für Eure Ehrenhaftigkeit ist, messer Riccardo, dann gebt ihn doch der Frau, die in den letzten Minuten Todesangst um ihren Sohn ausstehen musste. Er mag ihr ein kleiner Trost sein. Ich selbst bedarf des Palios nicht.“
„Dann nimm diesen Kranz, Alessandro.“ Lucrezia Tornabuoni hatte sich erhoben und reichte Alessandro den Blumenkranz. „Und gib ihm der Dame deines Herzens, damit sie sich an deine heldenhafte Tat erinnern möge.“
Selina hielt den Atem an als Alessandro den Kranz mit einem Lachen entgegennahm, sich leicht im Sattel verneigte und dann sein Pferd zur Tribüne hin lenkte, wo sie mit ihrer Familie und Francoise stand. Sie wusste, dass er hier, vor allen Leuten, nicht ihr den Preis überreichen konnte, sondern ihn jener Frau geben musste, von der ganz Florenz annahm, dass sie seine Braut sei, und sie wappnete sich gegen den Schmerz, den sie dabei empfinden würde. Wie sehr sie dieses Spiel nun schon zu hassen begonnen hatte, diese Komödie, die sie ihm und den anderen vormachte! Wie einfach wäre es jetzt gewesen, hätte sie frei und offen hier stehen können und als Selina de Valiere, die man in Florenz Selina Santini nannte, den Kranz entgegennehmen. Aber so musste sie hinter ihrer eigenen Lüge zurückstehen. Am liebsten wäre sie fortgelaufen, um nicht sehen zu müssen, wie Francoise den Preis erhielt, der von ihr so heiß begehrt war. Sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen und lächelte verkrampft, als Alessandro näher kam und ganz an die kleine Gruppe heranritt.
Und dann geschah etwas, das sie nicht erwartet hatte, sie jedoch mit einem Glücksgefühl erfüllte, das ihr Tränen in die Augen trieb. Alessandro hielt vor ihr , nicht vor Francoise, sein Pferd an, beugte sich zu ihr hinüber und legte ihr vorsichtig den Blumenkranz aufs Haar. Die Menge verstummte und jeder, der es gesehen hatte, starrte neugierig auf sie. Alessandro lächelte ihr zu, dann wandte er sein Pferd und ritt davon.
***
Alessandro lehnte am Fenster, halb von einer römischen Statue verdeckt, und starrte finster auf die andere Seite des Saals, wo Selina inmitten einer Gruppe von Leuten – vornehmlich Männer – stand und sich mit der ihr eigenen Lebhaftigkeit unterhielt. Dieser Riccardo stand ebenfalls dabei, ließ keinen Blick von Selina und versäumte keine Gelegenheit, sie zu berühren. Er hatte sich mit seinem Verzicht auf den Preis die Anerkennung und Bewunderung vieler erworben, und auch Selina lächelte ihm zu und tat sehr freundlich mit ihm. Viel zu freundlich. Dabei stand sie dort mit seinem Kranz auf dem Haar und trug ihn mit stolz erhobenem Kopf wie eine Krone.
Er brauchte sich nichts mehr vorzumachen, das Spiel war ihm schon lange aus den Händen entglitten. Er hatte den Spieß umdrehen wollen, die kleine Abenteurerin und Lügnerin an der Nase herumführen, und war dabei selbst in die Falle getappt wie ein Blinder in eine Grube. Sie hatte ihn anfangs gereizt, seinen Jagdinstinkt geweckt. Sie hatte ihnen eine Komödie vorgespielt und er hatte ihr beweisen wollen, dass sie dabei die Unterlegene war. Und am Ende, wenn sie Wachs in seinen Händen gewesen wäre, hätte er ihr gesagt, dass er alles wusste. Bis dahin hatte er die heimlichen Treffen genießen wollen. Sie jedes Mal neu verführen, eine leidenschaftliche Beziehung auskosten, die umso heißer brannte, als niemand etwas davon wusste.
Was jedoch
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