Semmlers Deal
Kanäle? dachte Ursula Koslowski. Sie schnitt die saure Sulz auf ihrem Abendbrotteller in kleine Quadrate, alle gleich groß, um ihn nicht ansehen zu müssen. Kooperation, dachte sie, Kooperation, nicht widersprechen!
»Du hast immer soviel von Semmler gehalten«, sagte sie.
»Allerdings, da hast du recht, ich hab ihn sogar bewundert, ich gebe es zu, schon in der Schule. Der Reichtum, das große Haus ... sein alter Herr war eine beeindruckende Persönlichkeit ... wie deiner!«
Sie blickte auf. Sein Blick war freundlich, nur etwas starr. Sie ließ sich nicht täuschen: Dass er etwas Gutes über ihren Vater sagte, bewies ihr die Persönlichkeitsveränderung mehrals der finanzielle Irrsinn. Ihr Mann war krank. Sie begann zu essen. Er auch. Zwischen den Bissen sprach er weiter.
»Er hat also vom Zusammenbruch der SILIV AG gewusst. Trotzdem hat er mir den Tipp gegeben, diese Aktien zu kaufen. Warum? Ich frage dich, warum?« Die Lautstärke der letzten Frage ließ es günstig erscheinen, zu antworten.
»Er will dir schaden«, sagte sie.
»Ja«, sagte er, »da hast du recht. Er will mir schaden. Aber ich werde ihm auch schaden.«
Danach verfiel Koslowski in ein brütendes Schweigen, das Ursula nicht zu unterbrechen wagte. Er aß langsamer als sonst, starrte auf den Teller, auf den Brotkorb, sogar auf den Pfefferstreuer. Aus irgendeinem Grund empfand sie das als besonders beängstigend.
Als er fertig gegessen hatte, sagte er: »Ich bin müde. Ich geh ins Bett.« Er stand auf. Das wäre ihm früher nie in den Sinn gekommen, ihre Gemeinsamkeit so zu zerstören, indem er aus eigenem Recht ohne Rücksicht auf seine Frau die Tafel aufhob. Gut, sie war vor ihm fertig, aber bis jetzt waren sie eine Familie gewesen, die gemeinsame Mahlzeiten einnahm. Dass Karin manchmal bei Freundinnen übernachtete, änderte daran nichts; alles dies blieb unter Ursulas Kontrolle, sie kannte diese Freundinnen, alles gute Familien. Das Aufgeben der gemeinsamen Mahlzeiten war ein Zeichen des sozialen Abstiegs. Bei den Proleten nahm sich jeder ein Stück Pizza und fläzte sich damit vor den Fernseher, das kam nicht in Frage.
Ihr Mann hatte alle Ersparnisse verzockt wie ein Möchtegernspekulant. Fast zweihunderttausend Euro. Aber bei diesem Abendessen störte sie sein rücksichtsloses Aufstehen viel mehr. An diesem Abend, erkannte sie später, hatte esdiesen feinen Riss gegeben, der sich schnell verlängern und verbreitern würde.
Er wünschte ihr eine gute Nacht und ging. Sie hörte ihn oben herumrumoren, dann war es still. Als sie nach einer halben Stunde nachschaute, lag er auf dem Rücken im Ehebett und schlief. Der Atem ging ruhig. Sie zog die Schlafzimmertür zu. Sie konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal allein ins Bett gegangen war, er liebte es, den Beginn der Nachtruhe zu zelebrieren, es gab verschiedene Rituale, die sie nicht alle anziehend fand ... aber damit war es wohl vorbei. Sie hatte ihren Mann verloren, vielleicht nicht an den Wahnsinn, vielleicht würde er im engen psychiatrischen Sinn keinen »Jagdschein« erhalten. Verrückt war er trotzdem. Und fremd. Zunächst war es entsetzlich. Sie hockte in der Küche und weinte vor sich hin. Dann machte sie sich eine Tasse heiße Milch mit Honig und Rum, wie immer beruhigte sie das Getränk. Ursula besaß ein positives Naturell. Ihre Freundin Angelika kam ihr in den Sinn, die eben eine komplizierte Scheidung von einem Anwalt hinter sich gebracht hatte. Mit finanziellem Erfolg. Das Schlimmste, sagte Angelika, ist die langsame Entfernung der Partner voneinander. Am Ende habe sie sich gefragt, was an diesem Mann sie jemals liebenswert oder auch nur anziehend gefunden hatte. Das sei furchtbar, sagte sie, sich das fragen zu müssen, weil sie vor sich selbst als größte Idiotin der Welt da gestanden sei, reingefallen auf einen Typen, dem das Wort »Versager« mit großen Blockbuchstaben auf die Stirn tätowiert war. Da habe sie erst gemerkt, wie sehr ihr Selbstbewusstsein von der Fähigkeit abhänge, Männer richtig einzuschätzen; ganz konfus sei sie eben geworden, weil die Veränderungen am Mann so langsam vor sich gingen. Wenn er sichdagegen plötzlich vom Prinzen zum Widerling wandle – dann wäre ihr Urteilsvermögen rehabilitiert, und sie als Frau auch!
Ursula hatte nicht viel dazu gesagt. Jetzt fand sie sich in der von Angelika positiv eingeschätzten Lage. Ihr Mann war nicht allmählich zu einem Narren geworden, sondern mit einem Schlag. Das war also nicht mehr der
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