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Semmlers Deal

Semmlers Deal

Titel: Semmlers Deal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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...«
    »Wer?«
    »Er hat gesagt, das soll ich nicht sagen, Sie wissen eh, wer, hat er gesagt, und dann hat er noch gesagt, ich soll Sie sofort anrufen und Ihnen mitteilen, Sie sollen ihn anrufen wegen dem Verein, es ist sehr wichtig, es ist eine ... Moment ... dramatische Situation eingetreten. Das hat er gesagt.«
    Semmler bedankte sich. Typisch Wurtz, das ganze Theater. Wurtz meldete sich gleich. Ließ Semmler nicht zu Wort kommen. »Lies die Zeitung«, sagte er, »die gestrige. Egal welche. Ciao!« Er legte auf. Wenn Wurtz die mediterrane Partikel »Ciao« verwendete, befand er sich in mediterran heiterer Stimmung, heiterer ging es bei ihm nicht, er hätte dann lachen müssen, was er niemals tat. Die NZZ vom Vortag war noch da, Semmler musste auch nicht lang suchen, denn die Nachricht war auch und besonders für Schweizer Leser von Bedeutung, für die meisten von übler: Der bekannte deutsche Finanzier Dr. Michael Harlander war mit seiner Cessna auf dem Flug von Zürich nach Innsbruck tödlich verunglückt. Die Absturzstelle lag in Österreich im Gebiet der Lechtaler Alpen in zweitausendeinhundert Meter Seehöhe in schwer zugänglichem Gelände. Augenzeugenhatten beobachtet, wie eine einmotorige Maschine ohne ersichtlichen Grund gegen einen Berghang prallte, wobei sie völlig zerstört wurde. Auffällig ist auch die starke Südabweichung vom Kurs, der Funkverkehr verlief routinemäßig und gab keine Aufschlüsse auf besondere Vorkommnisse ...
    Der Artikel war nicht lang und enthielt außer den ebenso spärlichen wie dürren Tatsachen Reaktionen aus der Finanzwelt und eine kurze Schilderung des Harlanderimperiums; das wusste Semmler alles, diesen Teil hätte er selber schreiben können. Eine halbe Seite, genügen würde aber ein einziger Satz.
    Mit dem Harlander-Imperium war es aus.
    In diesem Augenblick spürte er, wie ihm das Herz bis in den Hals schlug. Die Knie fühlten sich an wie Gummi. Er setzte sich in einen der tiefen Fauteuils der Hotelhalle und atmete tief durch. Hieß es nicht immer, man müsse tief durchatmen, wenn ... ja wenn was? Daran konnte er sich nicht erinnern. Er wurde ruhiger. Auch ein freudiger Schock, begriff er, ist ein Schock. Vielleicht war das tiefe Durchatmen auch falsch, gab es nicht so etwas wie Hyperventilation? Dann müsste man eine Weile in einen Plastiksack atmen, das hatte er doch im Fernsehen ... er zwang sich, den Artikel noch einmal zu lesen. Kein Zweifel. Das war die »Neue Zürcher Zeitung«, also zeitungsmäßig wie die Bibel. Wenn es hier stand, dann war es so: Michael Harlander hatte sein verrottetes Hirn und stinkendes Gedärm über eine ostalpine Felswand verspritzt, Platsch! So stand es natürlich nicht in der »NZZ«, aber es kam aufs Gleiche heraus. Harlander war tot. Harlander war tot.
    Er bat den Rezeptionisten um die aktuelle Zeitung und schlug die Börsenseiten auf. Die Sache war sogar einenKommentar wert: »Harlander im freien Fall«. Wie passend! Semmler lachte laut auf.
    Die komplizierte Struktur des Harlander-Imperiums aus Firmenverflechtungen und Beteiligungen hatte, wie beabsichtigt, die Folge, dass Michael Harlander nicht mehr Steuern zahlte als ein mittelständischer Schreinermeister mit vier Gesellen. Ein Unternehmen dieser Art zu führen verstand aber nur eine einzige Person, Harlander selbst. Die persönlichen Verhältnisse waren fast ebenso kompliziert wie seine Firma, Semmler wusste von mindestens drei Ehefrauen, alle mit Nachkommenschaft, alle verbunden durch heftige gegenseitige Antipathie. Der Streit ums Erbe hatte begonnen, noch ehe Harlanders sterbliche Überreste von der Absturzstelle ins Tal geschafft worden waren. Man würde das alles in den kommenden Wochen, Monaten, vielleicht Jahren nachlesen können. Um diese Umstände wusste nicht nur Semmler, sondern jeder, den es auch nur am Rande anging; mit Harlanders Tod brach alles zusammen. Die Erben würden sich streiten, an eine normale Geschäftstätigkeit war nicht zu denken, Harlander hatte für sein Unternehmen eine abartig komplizierte Gesellschaftskonstruktion gewählt, die auf ihn zugeschnitten war und nach seinem Ausscheiden funktionieren konnte, wenn alle Erben sich einig waren. Dass dies nie der Fall sein würde, hatte ein Unternehmensberater, an dessen Namen sich Semmler nicht erinnern konnte, vor Jahren bei einem Sparkassenseminar erklärt; Harlander sei in diesem Punkt von einer Art Blindheit geschlagen. Oder als ob er wolle, dass nach seinem Tod alles zusammenbreche.
    Zumindest

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