Semmlers Deal
war das Unternehmen paralysiert und die Übernahme der SILIV AG kein Thema mehr. So wenigThema, dass der Name SILIV in den einschlägigen Berichten gar nicht auftauchte, er stand nur in winziger Schrift auf den Börsenseiten, gefolgt von einem fetten Minus.
Semmler verließ die Lobby, er schwankte ein wenig, als ob er ein Glas zuviel getrunken hätte, der Boden fühlte sich weich an, nicht der dickflorige Läufer auf dem Flur, sondern der Boden selbst. In seinem Zimmer fiel er auf die Knie, stützte die Arme auf den Bettrand, faltete die Hände und schickte inniges Dankesgestammel zum Universum hinauf, das er jenseits der Zimmerdecke vermutete, die in ihrem makellosen Weiß, wie in einem Zürcher Innenstadthotel üblich, allerdings nichts Transzendentes vermuten ließ.
Danach plünderte er die Minibar und betrank sich. Dieses Zimmer war das schönste der Welt; er hatte keine Lust, es zu verlassen.
K oslowski tappte in einem weichen Nebel durch die Gegend. Der Nebel war für andere Menschen nicht vorhanden, bei ihm selbst pharmakologisch induziert; er hatte Pillen genommen. Sie erleichterten das Leben, falsch: sie machten das Leben überhaupt erst erträglich. Koslowski stand den ganzen Tag in der Firma, er begann seinen Tag nicht mit dem Studium der Börsenseiten, sondern mit Fachliteratur, deren Lektüre anstand. Oder er las Laborprotokolle. Er war im produktiven Gewerbe; für die Gewohnheiten eines professionellen Dealers hatte er keine Zeit und wusste das auch, das Geldmachen war eine Arbeit, die ihre Ressourcen forderte. Darum war er über Semmlers Tipp so froh gewesen, der würde ihn von der Klein-Klein-Feierabend Dealerei befreien. Nach dem Aktienkauf hatte er die Entwicklung inder Zeitung verfolgt, aber nur die Entwicklung der SILIV-Aktie. Was sonst noch auf den Wirtschaftsseiten der Zeitung stand, überflog er nicht einmal, dazu war keine Zeit. Die Aktie stieg, das genügte ihm. Semmler besaß echte Insiderinformationen. Er dachte in diesen Tagen voll Wärme an seinen Schulfreund.
Und dann war im Labor eine leichte Krise ausgebrochen, mit der Gaschromatographie stimmte etwas nicht, solche Krisen gab es regelmäßig, sie zu bewältigen forderte die Konzentration der Fähigen, die leider dünn gesät waren. In Koslowskis Abteilung gab es nur einen, Koslowski selbst. Die Krise wurde an einem langen Überstundenabend bewältigt; Koslowski hatte in dieser Zeit für etwas anderes weder Auge noch Ohr. Während die Gaschromatographie dank der ingeniösen Fähigkeiten des Abteilungsleiters Dr. Koslowski wieder auf die Reihe kam, ging der Kurs der SILIV-Aktie von einer Abwärtsbewegung in den freien Fall über. Am Ende der Woche hatte Koslowski fast alles verloren. Er erfuhr es von Baumann, der aus dem Krankenhaus zurück war. Das Depot habe stark abgenommen, sagte Baumann, er empfehle nun, die Aktien zu behalten, vielleicht ergebe sich etwas mit einer Auffanggesellschaft ... Koslowski hatte keine Ahnung, wovon die Rede war, und wurde aufgeklärt. Es entspann sich am Telefon eine heftige Debatte; heftig von Seiten Koslowskis, ruhig von Baumann geführt, der sich bemühte, seinen Kunden von sinnlosen Aktivitäten abzuhalten. Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft, Leserbriefe, Anrufe beim Fernsehen.
Das Geld war weg. Koslowskis Ersparnisse. Als er das begriffen hatte, tat Koslowski etwas Seltsames: Er sagte alles seiner Frau; gleich am Abend dieses Tages nach der Rückkehraus der Arbeit. Und Ursula sagte nichts. Denn der Koslowski, der ihr am Abendbrottisch gegenübersaß, war nicht der gewohnte. Er sah sie nämlich ruhig an bei seiner Erzählung, suchte Blickkontakt, während er früher ihrem Blick stets ausgewichen war. Am Anfang kaum merkbar, hatte sich diese irritierende Angewohnheit im Lauf der Jahre verstärkt. Jetzt war sie nicht darauf vorbereitet, angestarrt zu werden, es kam ihr verrückt vor, Koslowski kam ihr verrückt vor, er ist verrückt, dachte sie, verrückt geworden, ich hätte es merken müssen, wieso hab ich das bloß nicht gemerkt? Man wird doch nicht von einem Tag auf den anderen so ... so ... dass man hingeht und alles Geld verzockt, das man hat? Koslowski erzählte.
»Er hat es absichtlich getan«, sagte er. Sprach ruhig, fast ein wenig zu leise, aber mit jener gewissen Eindringlichkeit, die das Gegenüber zwingt, die Ohren zu spitzen. »Du musst verstehen: Semmler ist in diesen Kreisen zu Hause, der tut den ganzen Tag nichts anderes, als die geheimen Kanäle abzuhorchen ...«
Was für
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