Semmlers Deal
Mann, den sie geheiratet hatte, auch ihr Vater konnte ihr nicht vorhalten »das hab ich ja gleich gewusst!« Quatsch. Das hatte er eben nicht gewusst und nicht wissen können, genausowenig wie sie selbst oder sonst jemand auf Gottes Erdboden.
Sie hatte keinen Fehler gemacht. Nur entsetzliches Pech gehabt. Damit würde sie fertig werden. Sie trug als Ehefrau, Lebenspartnerin, Mutter – keine Schuld.
B ellmeyer war Frühaufsteher. Die Werkstatt öffnete um halb acht, um sieben fuhr er den Carina schon aus dem Tor, obwohl es bis zu »Toyota Ellensohn« keine fünfhundert Meter waren; er konnte nicht anders. Semmler hatte angerufen, er werde seinen Kurzurlaub ein paar Tage ausdehnen, Bellmeyer war es recht, er hatte einen Haufen Arbeit vor sich, am dringendsten war der Carina, irgendwas mit der Kraftstoffverteilung stimmte nicht, in dem Auto roch es immer leicht nach Benzin.
Auch Koslowski war zu früher Stunde unterwegs. Er wollte ins Baywa-Center, um Gartenerde und Rindenmulch zu besorgen. Koslowski fuhr ebenfalls einen Toyota, einen zehn Jahre alten Hilux Pickup, an dem er sehr hing. Jenes Modell, das von Aufständischen in aller Welt als ideale Plattform für die zwei Zentimeter Flak geschätzt wurde, ein klassischerOffroader, Doppelkabine mit Vierradantrieb, Untersetzung und Differentialsperre, die Koslowski nur im Winter einsetzte, um von zugeschneiten Parkplätzen weg zu kommen – die er allerdings genau so aussuchte, dass die besonderen Fähigkeiten seines Autos beim Wegfahren gefordert sein würden. Mehr »Gelände« gab es nicht. Koslowski plante seit Jahren einen richtigen Track quer durch die Sahara nach Mali, was bis jetzt am hinhaltenden Widerstand seiner Frau gescheitert war. Koslowski kannte die Wüste (mehr den tunesischen Rand) und bildete sich ein, dort jene Ruhe zu finden, nach der er sich sehnte. Er hätte diesen Trip schon lang machen können, wenn Ursula nicht so hohe Sicherheitsforderungen gestellt hätte. Ausgerechnet Afrika! Wer seine fünf Sinne beisammen hatte, mied den schwarzen Kontinent. Stichwort Seuchen, Stichwort Entführungen. Was wurde aus seiner Familie, wenn er auf dem Trip umkam? Karins Ausbildung musste bezahlt werden, und, sie sage das frank und frei, ein gewisser Lebensstil aufrechterhalten – kaum möglich, wenn er sie nun zur Witwe mache; hunderttausend auf dem Sparbauch sei da nichts. Natürlich: das Problem ließe sich umgehen, wenn Frau und Tochter einfach mitführen und folgerichtig mit umkämen – aber bei aller Liebe – den Gefallen würden sie ihm nicht tun!
Mit dieser Wendung ins bemüht Scherzhafte schnitt sie ihm die Argumentation ab; wenn die Sache so weit gediehen war, konnte er auch den Abschluss einer hohen Lebensversicherung nicht mehr vorschlagen, ohne sie in einen hysterischen Ausbruch zu treiben.
Nun würde er nicht in Afrika umkommen, die Gelegenheit dazu hatte er verspielt, Mali war von einer realen Utopie, die sich prinzipiell hätte verwirklichen lassen, zu einerirrealen geworden; das einzig handfeste Verbliebene war sein gelber Hilux, mit dem er nun auf den brettebenen, geteerten, nicht einen Hauch von Wüstensand oder sonst ein Traktionshemmnis aufweisenden Straßen von Dornbirn herumfuhr; die Ladefläche nicht mit Wasser- und Dieselkanistern beladen, sondern mit »Vorasol«, einem hervorragenden organischen Dünger, der aus dem ausgefaulten Schlamm der örtlichen Abwasserreinigungsanlage hergestellt wurde.
Als er in die Riedgasse einbog, sah er Semmlers Carina vor sich. Der fuhr in Richtung Bahn. Koslowski folgte. Er konnte nicht erkennen, wer am Steuer saß, dachte auch nicht darüber nach. Für ihn war es Semmler. An das Folgende konnte sich Koslowski nie erinnern, nur noch an einen einzigen Gedanken: schade, dass es nicht der Jaguar ist. Aber davon erzählte er nichts. Nicht dem Arzt, der bei ihm war, als er wieder zu Bewusstsein kam, nicht der Polizei. Schade, dass es nicht der Jaguar ist.
Ein Zeuge sagte aus, er habe einen lauten Knall gehört, sich umgedreht und gesehen, wie der »gelbe Jeep auf dem Kombi draufgepickt« sei. Und der Kombi sei »kürzer« gewesen. Die Polizei bestätigte das, der Carina war einen halben Meter verkürzt und total, der Hilux unwesentlich beschädigt. Mit den Insassen verhielt es sich umgekehrt. Bellmeyer kam mit dem Schrecken davon, weil er angegurtet war und die ergonomisch konstruierte Kopfstütze eine Peitschenhiebverletzung verhinderte. Koslowski hatte sich nicht angegurtet, flog nach vorn aufs
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