Semmlers Deal
Tagen in der Riedgasse. Aber ich kann nichts dafür, so ein Idiot ist mir drauf gefahren. Das Auto ist Schrott.« Ohne Vorzeichen begann Bellmeyer zu weinen, wozu er neigte, wenn er Alkohol getrunken hatte, was Semmler nicht wissen konnte, da es Bellmeyer bisher stets vermieden hatte, sich gehen zu lassen. Bellmeyer erschreckte ihn. Er bat den Hausmeister, sich im Wohnzimmer hinzusetzen und machte Kaffee. Bellmeyer beruhigte sich, er sei mit den Nerven hinüber, total, sagte er, er sei einfach zu alt. Semmler servierte den Kaffee und widersprach, vierundsechzig sei doch nicht alt, in Schweden seien die meisten Männer in diesem Alter auch noch im Beruf, er solle sich nicht kränker machen, als er sei ... Bellmeyer vernahm diese Worte mit Wohlwollen, seit dem Tod seiner Frau vor zehn Jahren lebte der Kinderlose nur für die Arbeit im Semmlerschen Haushalt.Bezüglich der Pension hegte er die heimliche Furcht, dass er sich nach zwei Wochen aufhängen werde, sicher aber nach drei, davon sprach er nie. Semmler fürchtete, ebenso unausgesprochen, Bellmeyer nicht ersetzen zu können; was er von den Personalquerelen im Bekanntenkreis mitbekam, ließ ihn das Schlimmste annehmen.
»Entschuldigen Sie die Heulerei, Herr Magister, das sind nur die Nachwirkungen, haben sie im Krankenhaus gesagt, das gibt sich wieder. Der andere ist viel übler dran ...«
»Der andere ... ?«
»Der in dem Jeep. Der mich gerammt hat.«
»Ach so.« Den gab es ja auch noch. Kam da unerfreulich Juristisches auf ihn zu? Bellmeyer zerstreute die Befürchtungen.
»Der war natürlich schuld. Angezeigt hat uns die Polizei beide. Weil wir beide verletzt worden sind, verstehen Sie? Wenn einer bei einem Unfall verletzt wird, macht die Polizei Anzeige gegen den anderen beim Bezirksanwalt ...«
»Aber Sie sind doch nicht schuld, Herr Bellmeyer, wenn der andere Sie gerammt hat!«
»Macht nix, ist so Vorschrift und gibt ein Verfahren, aber davor hab ich keine Angst, die haben gesagt, die Sache ist klar, der andere ist schuld ... obwohl er nicht besoffen war. Die glauben, der ist ...«, Bellmeyer beschrieb mit der flachen Hand zwei Kreise vor seiner Stirn ...«, der ist geistig irgendwie ... durchgedreht, war vorher ganz normal ...«
»Woher wissen Sie das?«
»Im Verein ist ... jemand vom Spital.« Bellmeyer war Mitglied mehrerer Vereine, Semmler verzichtete darauf, der undichten Stelle nachzugehen. In diesem Land gab es eben Leute, die alles wussten und alles weiter erzählten.
»Aber was heißt schon normal«, fuhr der Hausmeister fort, »es muss jedenfalls ein ziemlicher Idiot sein, der hat auf einen Schlag einen Haufen Geld verloren.«
Semmler setzte sich. Es war, als ob man an einem trügerisch sonnigen Herbsttag Fenster und Türen öffnen würde, die Temperatur im Raum schien zu fallen.
»Wie denn?«, fragte Semmler. »Geld verloren, meine ich.« Seine Stimme klang brüchig, er räusperte sich, aber davon ging es nicht weg.
»Ach, ich kenn mich da nicht aus. An der Börse, sagen sie. Irgendwas mit Aktien.«
Der Herbstwind strömte durchs Zimmer. Kalt.
»Wie heißt er denn?« Semmler erkannte die eigene Stimme nicht. So klein, so verzagt. Sein Gegenüber schien nichts zu merken.
»Koslowski, glaub ich ... ja, Koslowski.«
Das Schweigen, das sich nun aufs Wohnzimmer senkte, war dicht wie Schnee. Bellmeyer, sonst feineren Stimmungen unzugänglich, spürte die Veränderung der Atmosphäre und dass er gut beraten wäre, sich zurückzuziehen. Das tat er mit der Aufzählung von Erledigungen, die er nun trotz Krankenstand unbedingt ... Semmler murmelte Dankesworte, stellte die Anschaffung eines Allradautos als Zweitwagen in Aussicht, darüber müssten sie gleich morgen reden, nur jetzt ... Bellmeyer ging.
Ich opfere diesen Wagen für das Gelingen des SILIV-Deals.
Das hatte sehr gut funktioniert, da konnte man nichts sagen. Der SILIV-Deal war in letzter Minute gelungen, der Wagen kaputt.
Er saß auf der Couch in seinem Büro, die Füße von sich gestreckt, ließ den Kopf in den Nacken fallen und schautezur Zimmerdecke. Ein paar feine Risse, es müsste längst neu ausgemalt werden. Ob Bellmeyer ... ach was! Trivialitäten.
Das Universum. Dem verdankte er das. Dort oben war es also. Jenseits der Decke. Aber das Universum sei gar nicht der Sternenhimmel, hatte er irgendwo gelesen, sondern überall, alles gehörte dazu, die Sonne, die Planeten, jeder Ort und jede Zeit, diese Stunde und dieser Raum, sogar die Zimmerdecke. Sogar die Risse im Anstrich.
Weitere Kostenlose Bücher