Semmlers Deal
können, oder? Und man hätte nicht viel verdienen können ...«
»... jetzt hab ich jedenfalls verloren ...«
»Wie viel denn?«
»Zwanzigtausend, so um den Dreh.« Das kam viel zu schnell. Sein Problem ist, dass er nicht lügen kann, dachte Semmler. Man sieht es ihm an. Und mein Problem ist, dass ich es zu gut kann.
»Wegen zwanzigtausend machst du so einen Bohei? Was glaubst du denn, was mich der Absturz gekostet hat?«
»Keine Ahnung ... hunderttausend?«
Semmler lachte auf, setzte eine ernste Miene auf. »Eine runde Million.« Das hatte er mit leiser und gebrochener Stimme gesagt. Laientheater, viel zu outriert, aber bei diesem Publikum ...
»Du machst Witze!«
»Leider nein. Finanzderivate, verstehst du? Komplizierte Sache, Puts und Calls, Strangles und Straddles, Hebelwirkung ... nur mit Aktien kannst du so eine Summe nicht in den Sand setzen.«
»Aber warum ... ?«
»Weil ich ein Arsch mit Ohren bin. Genau wie du!«
Koslowski lächelte. Nicht wegen der Bemerkung Semmlers. Hinter dem hatte jemand den Raum betreten. Semmler drehte sich um.
»Wie geht’s dir?«, fragte die Frau, trat an Semmler vorbei ans Bett.
»Das ist Semmler«, sagte Koslowski, »ich hab dir von ihm erzählt.« Ihr Blick war kalt und ruhig.
»Ja, das hast du«, sagte sie. »Mehr als einmal.«
»Ich hatte schon Gelegenheit ... ihrem Mann zu erklären ...« Semmler spürte seine Arme. Und die Hände am unteren Ende. Das hing an ihm herunter, links und rechts; er durfte sich nicht bewegen, sonst würden die lächerlichen Anhängsel hin und her schlenkern, entsetzliche Vorstellung, die Hände waren auch viel zu groß, wie Klodeckel, hoffentlich sah sie nicht auf seine Hände, er musste weiter sprechen, damit dies nicht geschah, nur hatte er vergessen, wie das ging, wörtliche Rede ... »es ist nämlich nicht so, wie es aussieht ... ich meine, auf den ersten Blick könnte man sagen ... andererseits hat das doch keiner wissen können ... oder?«
Koslowski half ihm aus dem illiteraten Gestammel mit der Erklärung, sein Schulfreund Semmler habe bei dem Deal sehr viel Geld verloren, eine Million. »... rund gerechnet«, fiel ihm Semmler ins Wort, »ungefähr ...«
»Ach?« Frau Koslowski schien erfreut. Sie setzte sich auf den Besucherstuhl neben das Bett. Semmler merkte, dass er stand, konnte sich nicht erinnern, aufgestanden zu sein: Er hatte sich umgedreht, sie gesehen. Einfach nur gesehen.
Sie fragte jetzt, wie das zugegangen sei mit dem Tipp, und Semmler antwortete, endlich gelang es ihm, sich aufzuspalten. Ein Teil stand vor ihr und versuchte das Vorgefallene zuerklären, dieser Semmler war vierzehn und suchte vor der Lehrerin nach Ausreden, warum er die Hausaufgaben nicht gemacht hatte. Mit den unnützen Händen hatte sich dieser Semmler abgefunden, das war jetzt nicht das Thema, kein Mensch erwartete von so einem Subjekt den Besitz brauchbarer Hände, schon gar nicht diese Frau; was das Lügen betraf, konnte der herumstotternde Semmler auf fixverdrahtete Mechanismen zurückgreifen, das ging von selbst.
Der andere Semmler war bedeutend älter als vierzehn. Der schaute nur. Auf die Frau. Die dort auf dem Stuhl saß und zuhörte. Er bemühte sich, sie einzuschätzen; es gelang nur unvollkommen. Mitte dreißig, schmales Gesicht, blaue Augen, das Haar mit einer blauen Schleife gebunden. Ein Goldhelm. Sie trug ein grünes Kostüm. Aber das waren nur Details. Sie war schön, keine Frage. Sogar sehr schön. Auch diese Feststellung traf nicht das Wesentliche.
Das Wesentliche bestand einfach darin, dass Frau Koslowski die liebenswerteste Frau war, die er je gesehen hatte. Liebenswert. Wert, geliebt zu werden wie sonst nichts auf der Welt.
Also liebte er sie. Vom ersten Augenblick an. Und er würde, das wusste er, bis zur letzten Stunde seines Lebens nicht damit aufhören. Die Frauen, die er gekannt hatte, sanken in ein graues Nichts zurück. Sie hatten ihn nicht vorbereitet auf diese Frau. Sie hatten ihm nichts genutzt. Es war so, als sei sie überhaupt die erste Frau, die ihm begegnete. In diesem Punkt stimmte der ältere mit dem vierzehnjährigen Semmler überein. Die erste Liebe ist die einzige. Wenn sie scheitert, muss man sterben. Alle Vierzehnjährigen glauben das; wenn sie älter werden, lächeln sie darüber und erinnern sich nicht gern. Sie merken nicht, dachte Semmler, dass manälter werden und trotzdem tot sein kann. Er hatte eine erste Liebe dieser Art nie erlebt, weder mit vierzehn noch jemals später. Bis zum
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