Semmlers Deal
nicht, dass es noch so lang dauert ...«
»Ich hab dir doch gesagt, ein paar Tage wird es schon brauchen.« Darauf antwortete sie nicht, sie hatten diese Diskussion schon ein paar Mal geführt.
Sie hatte nicht gedacht, dass es so entsetzlich langweilig sein könnte, ein Verbrechen zu begehen. Es gab keinen Nervenkitzel, nicht die geringste Aufregung. Dabei war es ein Verbrechen, sogar mehrere, hatte ihr der Stiefvater erklärt. Vortäuschung einer Straftat und Erpressung. Das betraf allerdings nur ihn – für Karin selbst hatten sie sich, wenn alles schiefgehen sollte, eine Geschichte ausgedacht: durch die Trennung der Eltern in psychische Probleme verwickelt, hatte sich Karin in einer Art Kurzschlusshandlung von aller Welt in diese Hütte zurückgezogen, um »sich über sich selbst klar zu werden«, wie das in den einschlägigen Publikationen des »Instituts für Sozialdienste« hieß. Enttäuschte erste Liebe, Scheidung der Eltern – diese Kombination erklärte jedes dissoziale Verhalten – zum Beispiel einen Tripnach Marokko ohne jemandem etwas davon zu sagen, oder aber den Rückzug in eine Waldhütte, von der nur die Eltern wussten. Und hatte ihre Mutter etwa dort nach ihr gesucht? Nein, hatte sie nicht, obwohl die »Messmerhütte« (sie hieß familienintern immer noch so) doch die erste Adresse für Nachforschungen sein musste. Mit zehn war Karin nach einem Krach von zu Hause fortgelaufen – und in eben jener Hütte gefunden worden.
In Wahrheit hatte Ursula noch in der ersten Nacht, als Karin nicht nach Hause kam, ihren Exmann angerufen, der sich sofort erbötig machte, die Waldhütte aufzusuchen und nachzusehen. Das hatte er getan und niemanden angetroffen. Einen Tag später kam der Anruf des Erpressers. Bis hierher war alles Koslowskis Schuld, ein perfider Plan, die Arglosigkeit der Stieftochter ausnützend, schlau und gerissen. Und böse, sehr böse. Was man »abgrundtief« nennt. Genau das war es.
Der Plan kam von ihr. Das, fand er, war das Beste daran. Sie hatte das Herz auf dem rechten Fleck, sie würde ihren Weg machen; sie würde sich nicht jahrzehntelang ausbeuten lassen wie ihr unglücklicher Stiefvater. Sie würde Nägel mit Köpfen machen.
Was ihn etwas irritierte, war die geniale Einfachheit des Plans. Konnte so etwas funktionieren? Vorgetäuschte Entführungen kamen nur in Filmen vor, er hatte noch nie von so einem Fall in der Realität gehört, und er meinte, sich ein bisschen auszukennen, weil er sich gerne Kriminalitätsdokus im Fernsehen ansah, reale Fälle; vom FBI, vom deutschen Bundeskriminalamt. Vorgetäuschte Entführung war dort kein Thema. Richtige Entführung ja, oder vorgetäuschter Selbstmord ... die realen Verbrecher waren zublöd, sich so etwas auszudenken. Andererseits konnte er nicht einfach die Tatsache ausklammern, dass in solchen Dokumentationen nur aufgeklärte Fälle auftauchten – um die Behauptung zu untermauern, das perfekte Verbrechen gebe es nicht. Aus Gründen der Generalprävention war es wünschenswert, dass alle Menschen das glaubten – aber wer nur eine Minute darüber nachdachte, musste zu dem einleuchtenden Schluss kommen, dass dieser Satz eben nur eine Behauptung war und nicht einmal Indizien für sich in Anspruch nehmen konnte. Die Indizien, beunruhigend genug, wiesen eher in die andere Richtung – einfach deshalb, weil sich die Nichtexistenz einer Sache aus Gründen elementarer Logik nicht beweisen ließ. Das perfekte Verbrechen taucht auch nicht als »ungelöster« Fall in der Statistik auf, sondern wird gar nicht als Verbrechen erkannt. Würde es das, wäre es nicht mehr perfekt. Jeder zehnte, vielleicht aber auch jeder fünfte Todesfall konnte ein verkappter Mord sein; an den Grundfesten der Gesellschaftsordnung würde das nicht rütteln. Vielleicht gehörte ja heimliches Morden zu eben diesen Grundfesten – wenn das aber so sein konnte, dann war auch vorgetäuschte Entführung möglich und durchführbar.
Erst hatte er nicht gewollt, hatte versucht, ihr die Sache auszureden. Sie beharrte auf ihrem Plan. Sie hatten mehrere Nachmittage alles Für und Wider erwogen und besprochen. Sein Widerstand war immer schwächer geworden. Bis zu dem Punkt, da er sich sagen musste: du selbst hast gehofft, dass die Lösung von ihr kommt. Jetzt ist sie da, die Lösung. Wenn du es jetzt nicht machst, dann nur aus Feigheit oder Trägheit, oder was weiß ich für Gründen. Aber das hat dann nichts mehr mit der Situation und dem Problem zu tun undnicht mit anderen
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