Semmlers Deal
ihnen nur egal. Vor dem Personal hätten sie Hemmungen gehabt, vor ihr nicht. Sie zählte nicht. Sie hatten ja auch keine Hemmungen vor der Kücheneinrichtung, Stuhl, Tisch, Anrichte. Eben die, auf der ihre Mutter nun saß.
Kälte erfüllte den Körper. Es tat nicht weh, es war nur ungewohnt. Karin staunte über sich selber. Sie hätte nun verzweifeln sollen, oder nicht? Weinen, wenigstens weinen. Das tat sie nicht. Die Augen blieben trocken. Aber sie spürte,dass sich in ihr etwas verändert hatte. Als ob man einen Schalter umgelegt hätte. Ein grünes Licht war aufgeleuchtet. Sie war in einem anderen Zustand als vorher, nicht, dass sie anderes gedacht, anders gefühlt hätte – sie war als Ganzes anders, in einem anderen Modus. Was das für ein Modus war, wusste sie nicht, aber sie spürte, dass sie nun bald Dinge denken würde, an die sie vorher nie gedacht hatte. Und auch Dinge tun; noch hatte sie keine Ahnung, was dies für Sachen sein würden. Aber andere würden es sein, ganz andere, früher undenkbare, unsagbare und unmachbare. Das wusste sie schon.
Sie verließ das Haus, bemühte sich, kein Geräusch zu machen. Sie fuhr mit dem Rad ins Ried und kehrte eine Stunde später zurück, rechtzeitig zum Abendessen. Sie war guter Dinge. Alle waren guter Dinge. Karin, Ursula und Semmler. Zusammen sahen sie aus wie eine glückliche Familie.
A ls Semmler gesprochen hatte, war es eine Zeitlang still im Raum. Koslowski machte einen sehr bekümmerten, Wurtz einen entsetzten Eindruck. Semmler hatte sie ins Café Moosmann nach Altach – man kann sagen: bestellt, und mit einer Stimme gesprochen, die keinen Widerspruch aufkommen ließ. Es gehe um eine wichtige Mitteilung, die er ihnen zu machen habe; Wurtz als seinem besten Freund und Koslowski, weil er in gewissem Sinn auch betroffen sei.
Jetzt hatte er die Mitteilung gemacht. Sie saßen im Hinterzimmer des Cafés, wo es angenehm kühl war. Draußen herrschte brütende Hitze, der Gastgarten war schwach besetzt. Diese alten Häuser, dachte Koslowski, sollte man sich zum Vorbild nehmen, die haben damals gewusst, wie manbaut und mit der Sommerhitze umgeht, ohne »klimaaktiv« und wie das alles heißt ... er litt unter Gedankenflucht, konnte sich nicht konzentrieren.
»Seit wann?«, fragte Wurtz.
»Seit gestern. Ihre Freundinnen hat Ursula alle durchtelefoniert. Da ist sie nicht.«
»Also kein Scherz«, sagte Koslowski mit sichtlichem Bemühen, bei der Sache zu bleiben.
»Nein. Wie ein Scherz klang das nicht.«
»Würdest du den Anrufer erkennen – an der Stimme, meine ich?«
»Auf keinen Fall ... das war so elektronisch verzerrt, eine Computerstimme.«
»Du musst zur Polizei«, sagte Koslowski, »sofort! Du hättest das gleich als erstes machen sollen, statt uns hier ...«
»... Polizei kommt nicht in Frage!«, schrie Semmler. Schon beim »nicht« dämpfte er die Stimme.
»Wenn du weiter so rumschreist, kommt die Polizei von selber!« Wurtz stand auf und machte das Fenster zu. Es ging nicht in den Gastgarten, nur auf den Parkplatz. Er verwünschte sich, dass er hergekommen war. Er hätte damals, nach Einsicht in die Pläne zur lächerlichen Prunkvilla, einen handfesten Streit vom Zaun brechen, die Verbindung kappen sollen, ein für alle Mal. Dieser Semmler bedeutete Scherereien, im besten Fall leere Kilometer.
»Mit Polizei, hat er gesagt, geht es ... schlecht aus.« Semmler setzte sich. Er wirkte müde wie nach einer durchwachten Nacht.
»Wie geht es Ursula?«, fragte Koslowski.
Semmler antwortete nicht, schüttelte nur leicht den Kopf. Koslowski blickte zu Boden.
»Es geht um Geld«, sagte Wurtz. »Die Sache ist furchtbar, keine Frage, aber es geht um Geld, glaub mir. Sonst hätte niemand angerufen, oder? Und diese Sache mit der Verzerrung ... dieses Telefonzeugs – so was machen nicht irgendwelche Möchtegernganoven, die denken gar nicht dran. Das sind Profis ...«
Semmler und Koslowski blickten auf.
»Das soll ein Trost sein?«, sagte Koslowski.
»Natürlich! Für Profis ist das ein Geschäft, die machen keine halben Sachen – aber, und das ist wichtig: auch keine Fehler! Es kommt zu keinen Überreaktionen, Fehlverhalten ... wie soll ich das jetzt ausdrücken ...«
»Wir verstehen schon«, sagte Koslowski. »Sie haben recht! Sehen wir doch den Tatsachen ins Gesicht: Wenn solche Sachen schiefgehen, sind es immer Amateure, Hobbykriminelle, die nichts durchdacht haben und irgendwann die Nerven wegschmeißen. Für die da ist das aber ein normaler
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