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Semmlers Deal

Semmlers Deal

Titel: Semmlers Deal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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Semmler wollte die Villa so schnell wie möglich loswerden. Er muss den Verlust wieder hereinbringen, sagt er, braucht Bares für Investments.«
    »Was für Investments?«
    »Keine Ahnung. Darüber spricht er nicht.«
    Auch später verlor Semmler über seine finanziellen Transaktionen kein Wort. Vielleicht, weil sie samt und sonders unglücklich verliefen. Koslowski hörte davon nur überKarin, die aber nur die familiären Auswirkungen der hereinbrechenden Katastrophe schildern konnte, nicht ihre Ursachen. In die hatte Christoph Wurtz besseren Einblick, weil er im Gegensatz zu Koslowski in der Gerüchteküche agierte, wo man erfuhr und weitererzählte, was von der Norm abwich. Christoph Wurtz kam zum Schluss, dass Semmler den Verstand verloren hatte, zumindest den geschäftlichen. Er benahm sich wie ein Spieler im Kasino, der Anfangsverluste durch höhere Einsätze wettzumachen sucht. Das geht schief. Immer. Semmler investierte wie im Rausch. In Aktien, in Swaps, in alles Mögliche, wovon ein Vernünftiger die Finger gelassen hätte. Das allgemeine Umfeld war ungünstig, die Konjunktur kam nicht in Schwung, alles lief irgendwie so dahin, aber es gab auch keinen Crash, das nicht. Das Stichwort hieß »Seitwärtsbewegung«; in der Börsenprosa las man oft die Vokabel »lustlos«. Wer gar nichts tat und alles laufen ließ, der machte kleine oder gar keine Verluste; es gehörte eine Portion Verbissenheit dazu, in diesem Klima Verluste wie Semmler einzufahren. Man konnte als Investor nur schwer reich werden, musste sich aber für das Gegenteil fast noch mehr bemühen. Semmler nahm diese Mühe auf sich. Er verlor nicht nur die eins komma vier Millionen, die seine Villa eingebracht hatte, sondern im Lauf eines einzigen Jahres auch sein ganzes Vermögen.

5
    Semmler saß auf dem Balkon und schaute auf die Wiese hinunter. Etwas Besseres als eine Wiese war es nicht, keine »Anlage« mit Rasenkantensteinen und Rabatten, einfach nur eine Wiese mit drei Exemplaren jenes schnellwüchsigen Ahorns, wie er oft auf Parkplätzen anzutreffen ist. Die Wiese wurde gemäht, aber mit einer gewissen Nachlässigkeit, man sah die Bahnen der Maschine, die Herr Köster bediente. Er wohnte auf 12 a im Erdgeschoss und bekam eine Pauschale von der Hausverwaltung; er erledigte das Mähen, so schnell er konnte. Köster war in Pension und hätte genug Zeit gehabt, aber er hatte keine Lust.
    »Keine Lust« war der geheime Fluch der Siedlung. Fünf Blocks wie Inseln in der riesengroßen Wiese, dreistöckig, vor dreißig Jahren gebaut, renovierungsbedürftig. Renoviert wurde aber nicht, nur darüber geredet. Auch hier: keine Lust. Man konnte nicht von Verfall reden, weder architektonisch noch soziologisch; es war nicht die Unterschicht, die hier wohnte. Keine der Parteien bezog Sozialhilfe, da war sich Semmler sicher, die gingen fast alle arbeiten, keine Berufsarbeitslosen in der Siedlung Blumengasse, nur der übliche Schnitt; nicht mehr Alkoholiker, nicht mehr allein erziehende Mütter, nicht mehr schwierige Halbwüchsige als im Landesschnitt. Es war nicht die Unterschicht, sondern die genau darüber, die untere Mittelschicht. Ich gehöre jetzt zur unteren Mittelschicht, dachte Semmler. Es passt noch alles, der Rasen wird gemäht, wenn auch schlampig. Letztes Jahr wurden die Läden gestrichen,vor fünf Jahren die Heizung erneuert. Es geht so dahin. Eben noch so.
    Aber nur ein winziger Stoß, ein Hauch, eine Bagatelle – und die Kurve würde sich nach unten neigen. Die Kurve der Menschen, der Siedlung, seine eigene. Man erhielt sich aufrecht, ging eher schlecht bezahlten Beschäftigungen nach, führte eher schlechte Ehen, bewohnte eher schlechte Wohnungen: wenn man genau hinsah, dann war alles eher schlecht. Und genau deshalb hatte niemand mehr Lust. Keine Lust auf was immer. Zu arbeiten, zu lieben, zu leben. Man tat es, aber nur noch eben so. Keine große Erschütterung würde das ändern, kein Erdbeben. Es genügte schon, dass ein Sack umfiel oder ein Fahrrad im falschen Moment, und alles würde fallen, alles, alles, in ein tiefes, erlösendes Nichts.
    Semmler erfuhr hier, dass der berühmte Satz, die Hoffnung sterbe zuletzt, nichts anderes war als ein dummer Spruch. Die Hoffnung war schon lang tot, die Menschen lebten immer noch. Sie gingen zur Arbeit, sie paarten sich, manchmal lachten sie sogar. Aber ihre Wünsche waren nicht in Erfüllung gegangen und würden auch nicht in Erfüllung gehen, nicht in aller Zukunft und auch nicht, wenn sie warten

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