Sengende Nähe - Singh, N: Sengende Nähe
Frau.
Der Dunkle Kopf.
Der Zwilling des Netkopfs war aus allem Schrecken, allen Verletzungen und allem Bösen entstanden, das die Medialen mit Silentium zum Schweigen gebracht hatten. Aus ihrer eigenen schmerzhaften Erfahrung wusste Faith, dass der Dunkle Kopf stumm war – aber er hatte einen Weg gefunden, sich auszudrücken: durch Gewalttaten schwacher, bereits der Dunkelheit anheim gefallener Medialer.
Deshalb fragte Faith nun den Netkopf, ob sein Zwilling hinter den Gewaltausbrüchen stecke.
Die Antwort kam in Sekundenbruchteilen.
Er schickte ihr das gesendete Bild zurück, aber der Dunkle Kopf war ausradiert worden. Also waren diese Taten nicht der begrenzte, gequälte Ausdruck des Dunklen Kopfs. Dann schickte der Netkopf ein weiteres Bild: das Medialnet, durchzogen von dunklen Tentakeln, die weder normal noch gesund aussahen. Faith hätte nicht erklären können, inwiefern diese Dunkelheit krank war – aber sie spürte es tief im Herzen.
Ein Tränenvorhang schob sich über das Bild des Medialnets.
Es stirbt, dachte Faith, dabei war der Netkopf doch in vieler Hinsicht das Medialnet. Ihr Herz setzte kurz aus. Man konnte dem Bild noch eine weitere Bedeutung entnehmen: Selbst wenn der Dunkle Kopf die Taten nicht initiiert hatte, konnte er einen oder sogar mehrere Mediale unterschwellig beeinflusst haben. Es wäre leicht, den Dunklen Kopf als böse anzusehen, aber so war es nicht. Er war nur eine weitere Wesenheit, Schuld an dem Wahnsinn trug allein Silentium.
Sie schickte dem Netkopf ein Bild von ausgebreiteten Armen – das Angebot zu helfen.
Die Antwort war ein Erdball, aber in den Farben des Medialnets: weiße Sterne auf schwarzem Samt. Um den Globus herum war ein glänzender Schild, von dem die Hände abprallten.
Das Medialnet war noch nicht bereit, Hilfe anzunehmen.
Doch der Schild hatte Risse. Faith legte den Finger auf einen davon, das war Judd. Der daneben, Walker. Und ganz nah an beiden, Sascha. So viele feine Risse. Einer stand ganz für sich allein, der neueste … nein, er war der Erste gewesen, aber er war in der Tiefe verborgen. Ein Mann, mächtig, äußerst mächtig. Wenn dieses Gespenst … „Oh“, flüsterte sie, als sie ihn berührte. „Er ist das Gespenst.“ Wenn der bekannteste Rebell im Medialnet Silentium durchbrach, würde der Schild vollkommen zerbrechen.
Doch ob das Medialnet überleben oder untergehen würde, konnten weder der Netkopf noch ihre hellseherischen Fähigkeiten ihr sagen.
40
„Jetzt ist später.“
Riley sah sich neugierig in Mercys Büro um. Es war sehr aufgeräumt, hatte aber eine undefinierbare Aura, die eindeutig Mercy zuzuordnen war. „Wo hast du das her?“ Er zeigte auf den auffälligen Wandbehang hinter ihrem Schreibtisch.
Überraschenderweise drängte sie ihn nicht zu der Auseinandersetzung über den Paarungstanz, sondern antwortete ihm erst einmal auf seine Frage. „Aus Peru. Nachdem ich festgestellt hatte, dass Medizin nicht das Richtige war, habe ich den Süden des Kontinents durchstreift.“ Sie stellte sich lächelnd neben ihn. „Das hat einen Höllenspaß gemacht. Eine Zeitlang bin ich mit dem Rudel meiner Großmutter losgezogen – bin sogar in Leopardengestalt zum Karneval gegangen.“
Er konnte sie sich gut im bunten Rio de Janeiro vorstellen. „Mit Eduardo und Joaquin?“
Über seinen Tonfall musste sie lachen. „Nein, die waren woanders unterwegs.“
„Warum hast du überhaupt mit dem Medizinstudium angefangen?“
„Du weißt doch, dass wir Posten gerne doppelt besetzen – gemeinsam mit Tammy war ich zu dem Schluss gekommen, dass es schön wäre, jemand zweiten mit einer medizinischen Ausbildung im Rudel zu haben. Klappte dann aber doch nicht.“ Sie zuckte die Achseln. „Deshalb nahm ich eine Auszeit und machte nach meiner Rückkehr den Abschluss in Datenkommunikation. Passte besser.“
Riley nickte. „Ich war überhaupt nicht auf dem College.“
Dass ein Zögern aus seiner Stimme herauszuhören gewesen war, überraschte Mercy. „Riley, du arbeitest seit Urzeiten für das Rudel. Hast eine Lehre gemacht – ich wette, die kommen mit allem und jedem zu dir.“
Sein zaghaftes Lächeln ging ihr ans Herz. Verdammt. Bald würde sie den Wolf brauchen, um glücklich zu sein. Die Leopardin sehnte sich danach und fürchtete sich gleichzeitig davor.
„Könnte mir gefallen, wenn du mich mal zum Karneval mitnehmen würdest.“
Das hatte sie bestimmt nicht erwartet, aber ihr Herz schmolz dahin. Riley wollte spielen,
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