Sengende Nähe - Singh, N: Sengende Nähe
habe ihn protegiert.
„Hallo Kaleb“, meldete Anthony sich. „In Moskau ist es bestimmt noch früh am Morgen.“
„Sehr früh“, sagte Kaleb, aber da die Bildschirme an beiden Enden der Verbindung nicht angeschaltet waren, konnte er genauso gut woanders sein. Ein Teleporter mit telekinetischen Fähigkeiten war kaum an einen bestimmten Ort gebunden. „Aber es geht um deine Gegend – ich habe die Berichte gesehen.“
„Es gab wieder einen Zwischenfall.“
„Der Schütze“, sagte Kaleb. „Die Informationen treffen gerade ein.“
„Die anderen scheinen zu glauben, die Vorkommnisse seien ein Cluster.“
„Und was glaubst du?“
Anthony lehnte sich in seinem Sessel zurück. „Ich denke, wir sollten uns das Gehirn des Schützen vornehmen.“ Sein Handy meldete eine Nachricht. Interessant. „Henry schlägt gerade dasselbe vor – und hat angeboten, sich um die Durchführung zu kümmern.“ Aber was wollte Henry überhaupt in Kalifornien? Er wohnte doch in London.
„Ich nehme an, du wirst ihn begleiten.“
„Natürlich.“ Denn kein Ratsmitglied traute dem anderen. Und Anthony, als Anführer einer Rebellion, die eine neue Ordnung im Medialnet schaffen wollte, vertraute nur ganz, ganz wenigen Leuten.
In einem Zimmer der Zweigstelle des Rehabilitationszentrums in San Francisco lag der Schütze bewegungsunfähig auf einem Behandlungstisch, sein Körper stand unter großer Anspannung. „Lassen Sie mich gehen.“
Die M-Medialen, die den Raum überwachten, hörten die Bitte, gingen aber nicht darauf ein. Ihre Aufgabe war es, den Mann am Leben zu erhalten, und da er zu Gewalt neigte, war es am besten, wenn er sich nicht bewegen konnte, damit er weder sich noch anderen gefährlich wurde.
Sie hatten seinen Geist mit telepathischen Schilden in Ketten gelegt, eine Vorgehensweise, die anderen Gattungen sicher unmenschlich erschienen wäre, doch hatten sie auch keinerlei Erfahrung mit psychotischen Telepathen. Dieser Mann konnte allein durch seine geistigen Kräfte Gehirne zerstören – und wenn er suizidal beeinflusst war, würde es ihm auch nichts ausmachen, seinem eigenen zu schaden.
Deshalb saßen die M-Medialen nur schweigend da, als der Mann immer wieder sagte: „Ich muss, ich muss, ich muss.“ Er sagte nicht, was er tun musste. Und als sie es herausfanden, war es zu spät.
12
Mercy war gerade in der Nähe ihrer Hütte angekommen, als die neuesten Meldungen eintrafen.
„Die Leiche einer neunundzwanzigjährigen Frau aus Tahoe wurde vor einer Stunde in einem flachen Grab in Ufernähe entdeckt. Ein Anwohner, der seinen Hund ausführte, machte den grausigen Fund.
Die Polizei hat bisher keine offizielle Erklärung abgegeben, aber nach Aussage von Quellen, die den Ermittlungsbehörden bekannt sind, lässt der Zustand der Leiche darauf schließen, dass die Frau erst kürzlich verstorben ist, wahrscheinlich innerhalb der letzten achtundvierzig Stunden. Wir werden Sie über die Entwicklungen auf dem Laufenden halten.“
Riley, der neben ihr saß, stellte den Apparat aus. „Wir müssen unsere Leute warnen. Als Vorsichtsmaßnahme.“ Er hörte sich gleichmütig an. Zu gleichmütig.
Mercy versuchte nicht, mit ihm über den Schmerz zu reden, den er so fest in seinem Herzen verschloss, sie würde bestenfalls einen leeren Blick ernten – Brennas Entführung und ihre Folgen waren das Einzige, über das Riley kategorisch ein Gespräch verweigerte. Instinktiv wollte sie ihn berühren, ihn trösten, aber in diesem Augenblick würde er nichts annehmen können. Deshalb hielt sie sich zurück.
„Hoffen wir, es war eine einmalige Sache.“ Die ermordete Frau und ihre Familie taten ihr leid, aber ein eifersüchtiger Freund oder Ehemann würde leicht gefunden sein. Ein Serientäter allerdings … „Sich unnötig Sorgen zu machen, bringt nichts. Ich werde die Meldung verbreiten und unsere Kommunikationsleute bitten, die Angelegenheit weiterzuverfolgen.“
Riley nickte, und sie stiegen aus. Mercy lehnte sich an die Kühlerhaube und kehrte zu ihrem vorherigen Thema zurück. „Ich ruf dich an, sobald wir etwas Neues über Nash haben.“ Der Grundstein war gelegt – Mercy war sicher, dass sie in nächster Zeit etwas hören würden. „Es ist nicht leicht, einen erwachsenen Luchs in einer Stadt voller Gestaltwandler zu verstecken.“ Vor allem, wenn Ratten nach dem Vermissten Ausschau hielten.
„Wir sollten die Angreifer nicht unterschätzen“, dämpfte Riley ihren Optimismus. „Immerhin haben sie es
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