Sensation in der Manege
schuldig. Es tut mir sehr leid, es war schon dämmerig, und ich habe es nicht gesehen.“
„Soso.“ Der Nikolaus strich sich den Bart. „Dann wirst du heute abend hundertmal den Satz schreiben: ,Ein Haferfeld ist keine Galopprennbahn, auch wenn mein Pferd das Gegenteil behauptet.’“ „Hundertmal?“
„Na schön, meine himmlische Güte ist grenzenlos. Neunundneunzigmal. Nun, wen haben wir denn hier, einen... einen schrecklichen... äh, schrecklich komplizierten Namen, Ignaz..., ist hier ein Ignaz Albert?“
„Hier.“ Ignaz der Schreckliche erhob sich und rang reuevoll die Hände, während er verschämt auf seine Schuhspitzen sah.
„Ist durchs Fenster in ein Blumenbeet gesprungen und hat einen Strauch niedergewalzt. Außerdem zweiundsiebzigmal rücksichtslos einen schlafenden Schüler geweckt und mit Fragen in tiefe Seelenpein gestürzt. Zu seinen Gunsten spricht ein Hechtsprung, mit dem er ein fliehendes Vierergespann zum Stehen gebracht hat. Na, dann wollen wir ihm mal die Strafe erlassen, und er bekommt etwas von meinen Gaben.“
Der Nikolaus wühlte in den Tiefen seines Sackes und brachte einen Zitronenlolly zutage, den er Ignaz dem Schrecklichen vor die Nase hielt.
„Ich hoffe, du kannst wenigstens ein Gedicht aufsagen?“
„O ja, natürlich!“
„Sehr schön, aber behalt es für dich. Ei, wen sehe ich denn da! Einen gewissen Giuseppe Santini , genannt Beppo. Ist im Stall beim Rauchen erwischt worden, ja pfui Teufel! Ist es denn zu glauben! Aber es kommt noch schlimmer! Zwei Tage später hat er ein Mädchen verführt..., zum Rauchen!“ brachte der Nikolaus stirnrunzelnd die kichernde Runde zum Schweigen. „Das scheint mir ja ein ganz ausgekochtes Früchtchen zu sein! Das ist schon eine ganze Früchte-Großhandlung! Beppo, komm her und knie nieder, da hilft nur noch die Rute...“
Einer nach dem anderen kam an die Reihe. Bald konnte der Nikolaus im allgemeinen Gelächter kaum noch die grimmige Miene bewahren.
„Ich bin gespannt, was er mit uns vorhat!“ flüsterte Bille. „Wir sind die letzten.“
„Hier ist etwas sehr, sehr klein gekritzelt“, sagte der Nikolaus endlich und hob das Ende des Zettels dicht vor die Augen. „Schlecht geschrieben, der Engel hat eine strenge Rüge verdient. Wer weiß, wo der Junge seine Augen gehabt hat! Bettina? Bettina, na also! Und was steht da? Sie hat sich schon dreimal geweigert, ihren Freund auf einen Ausritt zu begleiten, mit den Worten: ,Bei dem miesen Wetter? Ich bin doch nicht lebensmüde!’ Aber, aber! Ist das vielleicht ein Beispiel liebevoller Hingabe? Und hier steht noch etwas, na, ich werde ja rot vor Scham! Sie hat zu ihrem Freund gesagt: ,Wenn du weiter so frißt, bist du bald so fett wie Bongo!’ Also, diese junge Dame wird bei mir nachsitzen müssen! Das ist ein ganz schwerwiegender Fall von Lieblosigkeit! Sie wird eine Lektion in himmlischer Nachsicht bekommen. — Sibylle Abromeit !“
„Hier!“ Bille schoß lachend hoch.
„Das Lachen wird dir gleich vergehen, mein liebes Kind. Bei deinen Sünden haben die Engel nämlich gleich drei Ausrufezeichen gemacht. Sie trainiert im Stadtgebiet in der Fußgängerzone mit einem Viererzug fürs Galopprennen! Wirft mit Weinfässern! Vernachlässigt die elterliche Aufsichtspflicht ihrem Pony Zottel gegenüber, so daß dieses in schlechte Gesellschaft geraten und sich sinnlos betrinken kann! Na, ich will nicht alles vorlesen, sonst sitzen wir morgen früh noch hier. Ich will dir nur deine Strafe verkünden: Du gehst auf der Stelle zum alten Pferdestall rüber und bringst die vorletzte Box rechts im ersten Gang in Ordnung. Aber tipp-topp. Ich gebe dir genau eine Stunde Zeit. Wenn ich mit deiner Arbeit zufrieden bin, werden wir deine Sünden erlassen.“
„Sofort!“ Bille machte eine eifrige Verbeugung und warf Bettina einen fragenden Blick zu.
„Eine Box putzen? Da steckt doch was dahinter?“ flüsterte sie.
„Versteh ich nicht. Die Box hat Tom in Ordnung gebracht. Vielleicht hat er ein Geschenk für dich dort versteckt?“
„Na? Ich warte!“ brummte der Nikolaus.
„Ich geh ja schon, ich fliege!“
Sie flog tatsächlich. Bille war so neugierig geworden, daß sie im gestreckten Dauerlauf zum alten Stall hinüberrannte. Atemlos kam sie an der Stalltür an. Drinnen hörte sie Stimmen. Da standen Herr Tiedjen, der Tierarzt, der alte Petersen und Hubert. Wir erwarten doch kein Fohlen, schoß es Bille durch den Kopf, noch dazu in Lohengrins Box!
Lohengrins Box! Bille kam ein
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