Sensation in der Manege
berühmten Clowns und gewagten Trapezkünsten und von den vielen kleinen Dramen am Rande des Zirkuslebens.
Tiergeschichten, Menschengeschichten — Johnny schien einen unerschöpflichen Vorrat zu besitzen. Manchmal fand sich zu diesen Zusammenkünften auch der eine oder andere Lehrer ein. Dann konnte es Vorkommen, daß ein Streit, den es am Morgen im Klassenzimmer gegeben hatte, mit Johnnys Hilfe geschlichtet wurde. Oder daß der Lehrer aus seinem Leben erzählte — und das waren dann auch meistens Pferdegeschichten.
Nach solchen Stunden halfen alle gemeinsam, Johnnys Arbeit im Stall zu erledigen. Da gingen die Gespräche von Box zu Box weiter, und es wurde gelacht und gesungen.
Achmed war aus dem Krankenhaus zurückgekehrt und wie ein verlorener Sohn aufgenommen worden. Er schwärmte von einer blonden Krankenschwester namens Martha und hatte mindestens drei Dutzend Wörter dazugelernt, von denen die meisten einem herzergreifenden Liebesroman zu entstammen schienen.
Bille, Bettina und Florian, deren Arbeit mit den Pferden sich auf der anderen Seite des Hofes abspielte, in der fast klösterlichen Ruhe des Tiedjenschen Stalles und der alten Reithalle, kamen so oft wie möglich zu diesen nachmittäglichen Teestunden. Da Simon und Tom, nun in der Endrunde ihres Abiturjahres, in strenge Klausur gegangen waren und wenig Zeit für Bille und Bettina hatten, kamen den Mädchen die vergnügten Zusammenkünfte im Schulstall gerade recht.
Zottel, der früher kaum von Black Arrows Seite gewichen war, hatte jetzt ständiges Gastrecht bei seinen Zirkuskollegen und hielt sich am liebsten in Happys Gesellschaft auf, vielleicht weil die Stute ihm von den dreien am ähnlichsten war — wenn auch Happy gescheckt war wie eine noch nicht reife Kastanie, während sein eigenes Fell aussah, als wäre ein feiner Regen aus roter Farbe über ihm niedergegangen und hätte ihn mit einem gleichmäßigen Tupfenmuster verziert.
„Gehst du noch nicht rüber zu Johnny?“ fragte Tom Bille eines Nachmittags. „Zum Nikolaustee?“
„Später, ich muß noch Black Arrow reiten. Schade, ich werde nicht mehr viel von der Feier mitbekommen. Und du? Wolltest du nicht mitkommen?“
„Eigentlich schon, aber..., ich hab den Kopf so voll. Ich brüte da über einem Thema für ein Referat, weißt du, ich brauche Ruhe. Sag mal, wie wär’s, wenn ich Black Arrow für dich reite, und du gehst schon mal rüber?“
„Du willst Black Arrow reiten? Ich denke, du brütest über einem Referat?“
„Das ist es ja eben. Wenn ich so allein in der Halle bin, kann ich am besten nachdenken.“
„Na schön, wenn du meinst..., und es wird dir bestimmt nicht zuviel? Immerhin hast du heute schon drei Pferde geritten!“
„Nein, nein, geh nur.“
Tom schob Bille zum Stall hinaus, als könne er sie nicht früh genug loswerden.
„He, meine Sachen! Laß mich wenigstens noch meine Jacke und meine Tasche holen! Ich hab doch für die Feier extra Lebkuchen mitgebracht, selbstgebackene von Mutsch. Magst du einen probieren?“
„Später, heb mir einen auf. Und nun geh.“
„Was ist eigentlich los? Willst du mich rausschmeißen?“
„Quatsch, ich will nur nicht, daß du zu spät kommst.“
Kopfschüttelnd verließ Bille den Stall und ging zum Schulstall hinüber. Was war nur mit Tom los? Hatte er ein heimliches Rendezvous? Mit einer neuen Freundin — während Bettina und sie ahnungslos drüben mit den anderen Nikolaus feierten? Das sollte er ja nicht wagen! Aber, nein, es waren wohl nur die Nerven. Simon spielte neuerdings auch manchmal verrückt, das Abitur belastete sie doch sehr.
Für diesen besonderen Tag hatten die Internatsschüler im Unterrichtsraum des Stalles die Tische zusammengerückt und lange Tafeln gedeckt, die mit Kerzen und Adventsgebinden geschmückt waren. Die Tür zur Stallgasse stand weit offen, und bis in die Boxen drang der Duft von Weihnachtsgebäck, Äpfeln und Tannengrün.
Die Internatsköchin hatte Kannen voll Kakao spendiert und die schönsten Äpfel aus ihrem Vorratskeller geholt. Jeder der Schüler trug etwas zu der Feier bei. Honigkuchen gab es und Dominosteine, Schokoladenprinten, Zimtsterne, Mandellebkuchen und Anistaler. Beppo, dessen Eltern einen Früchtegroßhandel betrieben, steuerte Orangen und ein ganzes Arsenal an getrockneten Früchten und Nüssen bei, und Peter brachte von seiner Mutter selbsthergestelltes Marzipan mit. Die Gaben wurden in Körbe verteilt und auf die Tische gestellt. Auf Fensterbrett und Schränken lagen
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