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Sense

Sense

Titel: Sense Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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herzitiert, wutschnaubend, hatte ein paar Röntgenaufnahmen ins Licht gehalten, einen Haufen Fachchinesisch heruntergerattert, gebellt, mit einer Verletzung wie der meinen sei ich nicht in der Lage, meinen eigenen Schwanz zu knicken, geschweige denn einem Erwachsenen das Genick, und all das hätte man genauso gut telefonisch oder brieflich klären können und war unter Schlagen derselben wieder aus der Türe gestürmt.
    Erst als er raus war, war mir eingefallen, dass ich ihn eigentlich noch um Pillen hatte bitten wollen. Mist. Na, musste Scuzzi mir halt irgendwas besorgen.
    Und so ließen sie mich schließlich, natürlich erst nachdem sie mich eine weitere geschlagene Stunde auf kleiner Flamme gedünstet hatten, laufen. Buchstäblich. Hin wird man ja immer gefahren. Und ich ging.
    Zielstrebig. Das geräumige Treppenhaus hinunter, durch eine der vier panzerverglasten Türen und schließlich die breite Außentreppe hinab. Atmete einmal tief durch. So, und nun ab in die Butze. Aah, verdammt! Ich blieb stehen, wo ich stand. Konnte sich ein Mensch vorstellen, wie es bei mir zu Hause aussehen musste? Nachdem die Bullen wie die Wilden über meine akribische - manche sagen pedantische - Ordnung hergefallen waren? Unter Umständen hatten sie mir sogar die Matratze ausgeweidet. Alles schon da gewesen. Wo Hufschmidt sich schon mein Laken hatte einrahmen lassen, war unmöglich zu sagen, auf was für Abartigkeiten sie noch verfallen waren. Und wie ich so stand und grübelte, holten mich auch noch Charlys Andeutungen ein, Und das gab dann den Ausschlag. Anstatt nach Hause, schleppte ich mich müde durch die City und über die Schlossbrücke und dann links, bis ich mich in den Fahrersessel des eigenartig dicht an einer schief stehenden Laterne geparkten Crown fallen lassen konnte.
    Hier, fünfzig Meter weiter, bei Kottge, hatte ich ihn gefunden. Sascha mit dem schlechten Gewissen. Er war erbleicht, als ich ihn mit seinem Namen ansprach, jedoch auf eine gefasste Art, hatte sich recht nonchalant das Haar aus der Stirn gestrichen, um mich besser in Augenschein nehmen zu können, und die Hand dann, flüssig und natürlich, in seiner Manteltasche verschwinden lassen, bevor er zurückfragte: >Wer will das wissen?<
    Man kuckt blöd, man kuckt überrascht, nachdenklich (kenn ich den?), man kuckt misstrauisch, fischig, von mir aus, je nach Veranlagung, aber man erbleicht nicht, wenn einen ein Fremder in der Kneipe mit Namen anspricht. Wovor hatte Sascha sich gefürchtet? Vor wem? Wusste er, hatte er Grund zu der Annahme, dass jemand unterwegs war, ihm den Hals umzudrehen? Ahnte er, dass ihm jemand nachschleichen würde bis in meine Küche?
    Ich startete und fuhr nach Oberhausen. Irgendwie war mir, als ob ich diese Nacht ruhiger schlafen würde mit einer feuer-, einbruchs- und erstürmungshemmenden Stahltüre zwischen mir und der Außenwelt.
    Scuzzi kippte sich Weinbrand in den Kaffee und H-Milch über seine Cornflakes und betrachtete einäugig, doch mit allen Anzeichen von Vergnügen eine pausenlos, gnadenlos zähnefletschende Doris Day im Morgenfernsehen, die wie üblich haufenweise Kerls den Kopf verdrehte, allen voran ausgerechnet dem armen, gequält wie selten wirkenden Rock Hudson. (Hat es tatsächlich einmal eine Zeit gegeben, in der irgendjemand auf so was scharf gewesen ist: eine Wasserstoff-und-Fiberglas-frisierte, dralle, penetrant neckische Dauergrinserin mit stahl armierter Unterwäsche, die sich bis zur Hochzeitsnacht noch nicht mal an den Hintern packen lässt, dann aber, frisch beringt, nach geschlagenen drei Stunden mit einem dramatischen Dadaaa! aus dem Bad geschritten kommt, eingehüllt in ein gestärktes und gebügeltes neonrosa Nylonneglige und eine Wolke, in der die Rivalität von Kernseife, Sagrotan und Chanel für das Knistern statischer Entladungen sorgt, um sich nun, nach all den Wochen und Monaten hartnäckigster Weigerungen, schon bei der ersten flüchtigen Berührung theatralisch stöhnend aufs Bett fallen zu lassen, die Beine mit Hilfe der Hände in einen 180-Grad-Spagat zu reißen und mit tiefer, vibrierender Stimme >Ooh, jaa, mach mich zur Mutter!< zu röhren?) Über ihr tschirpendes Gegacker hinweg bellte ich bestimmt schon das achte Mal seit gestern Abend >Ruf mal bei Scuzzi an!< auf Charlys Anrufbeantworter und war entnervt.
    »Pennt bestimmt noch«, meinte mein Gastgeber, ohne den Blick vom Bildschirm zu lösen und sichtlich bemüht, nicht bei jedem der unsagbar flachen Scherze Cornflakes zu prusten. Ich

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