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Sense

Sense

Titel: Sense Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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augenblickliche Aufgeregtheit und damit das unkontrollierte Gefuchtel und Getorkel etwas gelegt hatte. Mir war nach allem, nur nicht nach Handgreiflichkeiten.
    Wie um mir zu Hilfe zu kommen, mischte sich von der Theke her eine mahnende Stimme in das ATÜ!-ATÜ!-ATÜ!-Geheul, eine Bitte um Ruhe und die Äußerung von Getränkewünschen formulierend. In wohlgesetzten Worten. Eine Stimme voll sanfter Autorität, beinahe frei von jeglichem Kolorit, sonor und doch weich, fast samten, die in den hier alles beherrschenden Katarrh zu passen schien wie Miles Davis' Trompete in einen Chor rostiger Autohupen.
    Ich wandte den Kopf, und da die Verteilung einer Lokalrunde Umsicht und Übersicht verlangte und somit zumindest für ein paar Minütchen das Schwanken, Wanken und Gestikulieren unterband, wagte ich mich mit meinem Leergut rüber zur Theke, zum Inhaber dieser angenehmen Stimme. Er drehte mir den Rücken seines dunkelblauen Kamelhaarmantels zu, unterhielt sich, wie die ganze Zeit schon, ruhig und ernsthaft mit Hasso, was ihm erst mal einer nachmachen musste, und obwohl ich mir sicher war, ihm noch nie begegnet zu sein, meinte ich ihn doch zu kennen, wie einem das manchmal so geht. Da er von mir keine weitere Notiz nahm, hatte ich Zeit, ihn einmal zu umrunden, und als ich ihn dann im Profil vor mir hatte, nickte ich mir selber zu und legte meine Linke auf seinen Arm, wie man das so macht.
    »Sascha Sentz?«, fragte ich.
    »Charly hat mir nur gesagt, er habe einen Vertrag auf dich«, sagte Veronika. Wir warteten auf das Eintreffen des Arztes, und sie schien mir sehr bekümmert.
    »Einen Vertrag?«, fragte ich, wie man das so macht. »Einen Vertrag?« Charly ist Geldeintreiber, mietbarer Muskel, und er ist einer der besten in seinem Gewerbe. Natürlich hilft es, wenn man zur Not rund drei Dutzend schwarzlederne Motorrad-Vandalen zu seiner Unterstützung hat.
    »Einen Vertrag? Auf mich?« Ich konnte es nicht glauben. Ich schuldete niemandem genug. Zumindest nicht, dass ich wüsste.
    Veronika nickte betrübt. »Über irgendeine haarsträubende Summe«, sagte sie, nebenher. Was immer der Grund für ihre sorgenvolle Miene sein mochte, die Tatsache, dass jemand eine Prämie auf mich ausgesetzt hatte, schien es nicht zu sein. Vielleicht war es meine Verhaftung? Wusste sie etwas, das mir bisher verschwiegen worden war? Sie hatte über eine halbe Stunde mit Menden gesprochen. Allein, ohne mein Beisein. Gab es Grund zur Sorge? Sprachen irgendwelche Spuren oder Aussagen gegen mich? Gab es neue Beweise? Würde man mich gleich damit konfrontieren? Das Wort >Indizienprozess< hallte mit einem hohlen, unheilschwangeren Echo durch meinen Kopf.
    »Was ist?«, fragte ich besorgt. »Was ist mit dir?«, schickte ich hinterher. Sie sah auf, seufzte und schlug die flache Hand auf den Tisch.
    »Kristof, wie zum Teufel konnte das alles passieren?« Da war sie fast schon wieder, die alte Schärfe in ihrer Stimme.
    »Wie viel Scheiße kann ein Mann alleine eigentlich binnen vierundzwanzig Stunden bauen?« Doch, definitiv, ganz die Alte. »Wie um alles in der Welt hast du das hingekriegt? Sag es mir!«
    Lange Geschichte, dachte ich betrübt.

Kapitel 3: Was du nicht willst, das man dir tu...
    Eine Laborratte in einem blaugrauen Kittel kam und schnippelte mir eine nicht wieder gutzumachende Ecke in die Frisur. Auf meine Frage, ob er auch ganz sicher sei, dass es sich bei ihm nicht versehentlich um den Hausmeister handelte, ging er nicht ein. Er bräuchte noch eine Speichelprobe, sagte er. Ich holte so richtig schön einen aus der siebten Sohle hoch und fragte »Wohin?«, doch er forderte nur »Mund auf, aaah sagen« und schabte mir mit einem Holzspatel über die Zunge, dass es mir die Augen wässerte.
    »Was ist mit einer Stuhlprobe?«, bot ich an. »Zweieinhalb Pfund ohne Knochen hätte ich wohl vorliegen.« Er seufzte verärgert. »Oder Sperma?« Ich offerierte ein großzügiges Quantum.
    »Was habt ihr ihm gegeben?«, fragte der Laborant, packte seinen Kram und wandte sich zum Gehen. »Für das, was ihr ihm vorwerft, kommt er mir erstaunlich lustig vor.«
    »Er glaubt, wir lassen ihn gleich laufen«, antwortete Menden. »Das sehe ich aber noch nicht.«
    Und sie ließen mich doch laufen. Mürrisch zwar und vorerst nur bis zum offiziellen Ergebnis der Obduktion und obendrein unter den üblichen albernen Auflagen, doch sie ließen mich raus.
    Denn noch vor dem Typen aus dem Labor war Dr. Möller im Präsidium erschienen, aus dem Bett geschellt und

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