Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sense

Sense

Titel: Sense Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
Vom Netzwerk:
allgemein wärmender Unterlage, wann immer ihr danach sei? He?
    »Zwei Minuten«, sagte ich, hob einen dreibeinigen Stuhl vom Boden, lehnte ihn an die Wand und ließ mich vorsichtig darauf nieder. Schwups!, sprang sie mir in den Schoß und riss an der Starterleine ihres Zweitakt-Purrers. Mechanisch streichelte ich ihr über den Rücken und konnte so gerade mit dem Kinn einem klauenstarrenden Schwinger ausweichen.
    >Whichaauu!<, kam es drohend, gefolgt von abschreckendem Knurren, und zwei aufgerissene Augen starrten warnend zu mir hoch.
    Irgendetwas tat ihr weh, hieß das. Da diese Katze nicht ohne Blutverlust - Verlust meines Blutes, um es präzise auszudrücken - in ein Transportbehältnis zu verfrachten ist, bin ich im Laufe der Jahre zu so was wie ihrem Leibarzt aufgestiegen. Wann immer sie etwas hat (Glassplitter im Fuß, Kaugummi im Fell, gegnerische Klaue unterm Auge hängen, Bein verstaucht, Würmer im Arsch, Milben in den Ohren), begibt sie sich ebenso Vertrauens- wie huldvoll in meine Behandlung, und ab da gnade mir Gott.
    Ich sagte, was ich immer sage: »Pass auf: Ich bin vorsichtig, und du lässt die Krallen drin. Okay?« Sie gab eine eher ausweichende Antwort, knurrte aber nicht mehr, sondern fügte sich, wenn auch zögerlich, meiner abtastenden Hand. »Und auch nicht beißen!«, mahnte ich sicherheitshalber.
    Kopf, Hals, Schulterblätter: unempfindlich gegen Druck, keine Reaktion. Rückgrat: zu Anfang ebenfalls Indifferenz, doch mit weiter nach hinten wandernder Hand erneutes Knurren, ansteigend, je näher die prüfenden Finger der Schwanzwurzel kamen. Danger zone. Ich brauchte nur hinzusehen, und sie machte den Schwanz dick. Geistige Notiz, weiter mit der Untersuchung. Rippen, Bauch: wüstes Fauchen, Blick Marke >Letzte War-nung!<. Zumindest stand sie wieder auf den Füßen, was Teil der Übung gewesen war, und ich konnte ihre Schwanzwurzel von der weniger dicht behaarten Rückseite her in Augenschein nehmen. Sie war dick, rot und geschwollen.
    Jemand hatte meine Katze in den Bauch getreten und sie am Schwanz gezogen.
    Routinemäßig griff ich noch ihre Beine ab, es schien alles in Ordnung, nur rechts vorne bekam ich wieder eine knurrende Reaktion. Unter beruhigendem Murmeln ließ ich meine tastenden Finger von oben nach unten wandern und presste schließlich sanft auf die Pfote, um die Krallen zum Vorschein zu bringen. Da kam nichts. Okay, es kam erneutes Fauchen, doch zu sehen gab es nichts. Die Krallen waren weg, ausgerissen.
    Jemand hatte sich, beim Versuch, meine Katze zu killen, ganz gewaltig einen gefangen.
    Ich machte es ihr so gemütlich es ging, das heißt, ich drehte die Heizung hoch, klemmte Pappdeckel in leere Fensteröffnungen und ließ nur einen Ausstieg nach hinten offen. Sie fraß ihren Fraß und verfrachtete sich dann selber ins Bett, wo sie zusammengerollt einpennte.
    Eine Weile stand ich unentschlossen da und sah auf sie hinunter. Zähe Biester, Katzen.
    Schließlich ging ich aus dem Haus.
    Mit Stretchbinden aus dem Erste-Hilfe-Koffer des Crown wickelte ich den völlig zerbröselten Behelfsgips wieder einigermaßen in Form. Irgendwann nächste Tage wollte Möller mir die Pfote vernünftig eingipsen, bis dahin musste es mein Provisorium tun. Die Finger ließ ich rauskucken. Sie ließen sich zwar nur unter Tränen bewegen, doch besser das als gar nichts.
    Dann setzte ich mich in den Wagen, überredete den Motor zum Anspringen und fuhr los.
    Der Crown und ich, wir passten nicht recht zusammen. Es stimmt schon, so einen hatte ich immer schon mal haben gewollt, doch jetzt, wo ich ihn tatsächlich besaß, war ich enttäuscht. Es war nichts als eine große, schwammige Schüssel, die für Rentner und Amerikaner und andere Leute mit völlig verweichlichten Komfortansprüchen konstruiert worden zu sein schien.
    Kein williges Werkzeug für den zupackenden Griff des -sagen wir mal - ambitionierten Fahrers.
    Und wir harmonierten auch nicht auf dieser subtilen, telepathischen Ebene, Grundlage jeder vernünftigen Beziehung: Wenn ich zum Beispiel die Carina fahren ließ, wohin sie wollte, kamen wir immer da an, wo ich im Grunde und oft, ohne es recht zu wissen, hingewollt hatte. Ließ ich dem Crown seinen Willen, landeten wir früher oder später immer an der Tankstelle.
    Ich tankte. Kaufte auch gleich noch Kippen. Unendlich schleppend kroch die Dämmerung näher. Ich stieg wieder ein, steuerte die nächste Pizza-Bude an. Erstand drei Stück zum Mitnehmen. Fuhr von da aus zum Burger King, für sechs

Weitere Kostenlose Bücher