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Sense

Sense

Titel: Sense Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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eingeschlossen. Vorsichtig drückte ich die Kippe aus und rutschte noch etwas tiefer in meinen Sitz. Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass ich eigentlich damit gerechnet hatte, dass der spiegelbebrillte Wachhund im Laufe der Nacht mal für eine Weile Landurlaub machte und mir Gelegenheit gab, meine abgebrochene Inspektion fortzusetzen. Und nicht, dass er Verstärkung bekam, die durchaus in der Lage schien, meine fortgesetzte Inspektion abzubrechen, und zwar gründlich.
    Nach nur fünf Minuten kündigte heftiges Mastpendeln ein Ende des Palavers an, und ich war drauf und dran, aus dem Sitz zu gleiten und bäuchlings einen Weg unter den Drahtmaschen hindurch und anschließend mein Heil zu suchen, in der Flucht, doch dann streifte mich der Gedanke, dass Elvis und Konsorten möglicherweise gekommen waren, um Freund Spiegelbrille abzuholen, abzulösen oder was auch immer. Jedwede bäuchlings durchgeführte Aktion würde mich um die Gewissheit bringen, wer sich nach Elvis' Abfahrt noch an Bord befände.
    Also blieb ich hocken, wenn auch auf striktem Gegenkurs zu meinen Instinkten, falls man hockenderweise auf Gegenkurs sein kann.
    Der Mann mit dem Kopf eines Neunziger-Jahre-Wrestlers erschien, dann der Mann mit dem Kopf eines Fünfziger-JahreRockers, dicht gefolgt von Freund- (minus seines bisherigen Attributs, wenn mich die Lichtverhältnisse nicht täuschten).
    Ich wollte schon nach Werkzeug kramen, Puls in vollem Galopp, doch dann ließen sie ihren Wachmann auf dem Schiff zurück und .
    . jagten meinen Puls in eine vierte Gangart, deutlich oberhalb des Galopps angesiedelt. >Stampede<, möglicherweise.
    Mit - für seine Verhältnisse - langen Schritten kam Siegfried >Elvis< König vom Steg her direkt auf mich zu, mit, wie es schien, wütender Entschlossenheit, mit, wie es schien, blitzenden Augen, bis direkt vor den Maschendrahtzaun, wo er notgedrungen erst mal Halt machen musste und zu seinen Leuten hin gestikulierte.
    Die Finger meiner rechten Hand suchten und fanden den Zündschlüssel in seinem Schloss.
    »Das reicht!«, schrie er.
    Überwachungsarbeit ist wie Fliegen: 99% Langeweile. Und 1%, wie die Militärpiloten gerne scherzen, blankes Entsetzen.
    Rundköpfige Gestalten eilten mit langen Schritten hinter mir hin und her. Ich hielt die Linke vor die Armaturen, als die Kontrollleuchten aufglommen. Nichts sollte sie warnen, wenn ich urplötzlich und mit Macht zurückstieß, den Zaun niederwalzte und unversehens und mit brüllendem Motor in die Nacht davonstob. Nach nur zwei- oder dreiminütigem Orgeln, gottverdammich.
    »In der Breite auch!«, rief einer von ihnen. Und Elvis löste sich vom Zaun und ging zurück zu den Autos. Eine Tausendstelsekunde, wenn 's hochkommt, bevor mein Anlasser seine lauthals jammernde Tätigkeit aufgenommen hätte.
    Von irgendwoher fand sich meine Atmung wieder ein. Sachte drehte ich den Schlüssel zurück in eine Ruheposition, ließ alle Leuchten im Armaturenbrett wieder verlöschen.
    Die drei hatten den Platz ausgemessen, zwischen Vereinsgebäude, Ufer und Zaun. Mit langen, energischen Schritten. Und wären um ein Haar überfahren worden dafür. Jetzt steckten sie ihre markanten Köpfe zusammen und berieten sich halblaut, während die Grazie immer mal wieder dazwischenquengelte. Ich sah genau hin, doch nicht einer von ihnen schenkte dem Crown auch nur die geringste Beachtung.
    Trotzdem pinnten sie mich mitsamt Auto auf der Stelle fest, denn als Elvis und seine Begleiterin schließlich davonröhrten, ließen sie BMW und Besatzung zurück. Mit laufender Musik, laufendem Motor, laufender Heizung. Säcke.
    Zitternd eingenickt, schlotternd erwacht. Der neue Tag hatte sich angeschlichen, unbemerkt, und mir war kalt wie dem Arsch eines Eisanglers. Ein rascher Blick in den Spiegel: Der BMW hatte sich weggeschlichen, auch unbemerkt.
    Ein zweiter, wesentlich hastigerer Blick, diesmal über die Schulter: Die Prinzessin lag noch da, dümpelte ruhig und verschlafen vor sich hin.
    Nachdem ich den Kaffee der Nacht an den erstbesten Zaunpfahl gebracht hatte, ließ ich mich hinaus aus meinem Drahtverhau und machte mich auf die Suche nach dem nächsten Kiosk, getrieben von der Sehnsucht nach Zigaretten und - ah, wär das schön - zur Abwechslung mal heißem Kaffee.
    Es war ein lausig kalter, böiger Hundesohn von einem grauen Morgen und unmenschlich früh dazu, trotzdem bearbeiteten entlang der Uferstraße schon reihenweise Dehner die Parkbänke und Geländer in, was aussah wie halbherzige, zum

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