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Sense

Sense

Titel: Sense Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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Lebensumstände ausfragen zu lassen.«
    »Prrivat«, wiederholte er seinen, wie ich schwer vermutete, kompletten deutschen Wortschatz, wobei er noch einen Schritt nach vorn machte. Er trug ein Diesel-Sweatshirt, Levi's-Jeans, dazu Nike-Turnschuhe mit wulstigen Sohlen und fetter Zunge. Alles, wie die Brille, ladenneu.
    Kristof, mahnte mich meine innere Stimme, wenn du mit der Begutachtung seiner Garderobe fertig bist, darf ich dich daran erinnern, dass der Typ irgendwas hinter seinem Rücken versteckt hält?
    Einmal gefangen in meinem Part des freundlichen Nachbarn, wollte ich einen möglichst harmlosen, unverdächtigen Abgang hinlegen. Mein Maul lief auf Autopilot, während die Augen, ebenfalls wie von selbst, Luken und Deckel auf ihre Befestigungspunkte untersuchten und ich darüber nachdachte, wie ich möglichst unauffällig auf die Knie gehen könnte, um durch eines der Bullaugen einen raschen Blick ins Innere werfen zu können.
    »Falls Sie es«, ich klopfte auf meine Uhr, zog mich ganz langsam über das schwankende Deck zurück, während der Jüngling Stufe um Stufe aus der Versenkung auftauchte und, ohne seine spiegelnden Gläser auch nur für eine Sekunde von mir zu nehmen, hinter mir herkam, »bis acht Uhr schaffen, können Sie gerne zum Essen bleiben. Meine Frau kocht, dass es einem die Magenwände nach außen dreht, ehrlich.«
    Er verstand kein Wort, so viel war sicher. »Ihr >Pansen süß-sauer< ist der Gegenstand von Legenden. Kaum ein Gast, der danach nicht einen Brechdurchfall gekriegt hätte, von dem viele noch ihren Enkelkindern erzählen werden. Oh, hoppla!« Ich bückte mich nach meinem Schlüsselbund, der mir ungeschick
    terweise aus der Tasche gefallen war. Direkt neben einem Bullauge, so ein Zufall.
    Ich grapschte danach und wandte leicht den Kopf, und die Schuhspitze traf mich mit Wucht und einem knackenden Geräusch an der Nase. Unnötig zu sagen, dass ich mich beeilte, wieder auf die Beine zu kommen, doch ein Wusch! knapp über meinen Scheitel hinweg ließ mir eine weiterhin geduckte Kopfhaltung angeraten erscheinen. Mit nur einer Hand, um mich zur Wehr zu setzen, versuchte ich hastig, einen möglichst fiesen Kick in die Weichteile anzubringen, als ein erneutes Wusch! mich im Rückschwung an der Schläfe erwischte, die niedrige Reling mir heimtückisch in die Kniekehlen trat und ich rücklings über Bord segelte.
    Ich fiel auf den Steg. Das war der gute Teil.
    Ich fiel auf meine schlimme Hand. Das war nicht so gut.
    Braaaooouuummmm! Licht und Ton verdunkelten sich dramatisch, wie wenn einem Filmprojektor kurzzeitig der Saft wegbleibt, bevor alles wieder Fahrt aufnimmt und auf normaler Stufe weiterläuft, und ich wünschte für einen Moment, ins Wasser gefallen zu sein.
    Was auch noch lief, war der rote Saft aus meinem Zinken.
    »Prrivat«, kam es von oben, vom schaukelnden Deck der >Princess Stephanie<, und ich dachte noch >Bald kann ich's nicht mehr hören,< dann rappelte ich mich auf.
    Freund Spiegelbrille stand, höchst zufrieden, wie mir schien, fing breitbeinig die bockenden Bewegungen des Bootes ab und klopfte, im Takt zum Seitenausschlag seiner mahlenden Kiefer, einen länglichen, maschinengedrehten Aluminiumbolzen gegen seine Wade. Irgendein Segelzubehör, nehme ich an.
    Man konnte es drehen und wenden, wie man wollte, doch der bleibende Eindruck war, dass ich den Kürzeren gezogen hatte. Mit der Linken versuchte ich das Blut einzudämmen, das mir aus der Nase strömte wie eine beliebige andere Flüssigkeit aus einem beliebigen, leckgeschlagenen Behälter, mit der kreischend pulsierenden Rechten wusste ich buchstäblich nicht, wohin. Ah ja, und mein Schädel ließ ahnen, wie sich ein Frühstücksei fühlen muss, nachdem es einen mit dem Löffel verpasst bekommen hat. Nein, selbst ein Politiker hätte sich schwer getan, das in einen Sieg umzumünzen.
    Unter dem wachsamen Blick der beiden blanken Gläser machte ich mich auf den Weg zum Auto. Viel hätte nicht gefehlt, und ich hätte die Einladung zum Abendessen zurückgezogen, so bitter war ich.
    Du willst Krieg, Elvis? Kannst du haben. Ich hoffe nur, dein Bootsmann trägt feuerfeste Unterwäsche.
    Das >Papp< einer platzenden Kaugummiblase folgte mir vom Boot her, und ich verlangsamte meinen Schritt, blieb stehen und drehte mich noch einmal um.
    »Mercedes-Benz?«, rief ich, einer Laune folgend, und ein naives Grinsen erhellte die slawischen Züge, ein Daumen wurde hoch in die Luft gereckt, und ein Geräusch, das aus der Ferne klang wie

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