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Sense

Sense

Titel: Sense Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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gegen etwas Legereres zu tauschen.
    »Tja«, sagte ich bedauernd. »Dann muss ich mich halt direkt an die Behörden wenden.« Und ich wandte mich zum Gehen.
    Rumms, machte die Türe.
    Jetzt stürmte ich nicht unbedingt beleidigt, wutentbrannt und wild entschlossen davon. Müsste ich meine Gangart beschreiben, würde ich sie wahrscheinlich als ein verhaltenes Schlendern von exemplarischer Gelassenheit bezeichnen. Oder als Zockeltrab, je nachdem.
    Durch das Törchen, quer über das Asphaltband und den Schlüssel zu meiner Limousine schon in der Hand, wurde ich von einem grellen Pfiff eingeholt.
    Der knabenhafte Lakai stand oben in der Haustür, winkte mich zurück und grinste bübisch dazu, als habe ihn der Pfiff an jemanden erinnert, jemand, der er mal gewesen war.
    Wir tauschten ein Grinsen, als er mir die Türe aufhielt.
    »Ich habe ihm abgeraten«, sagte er. »Ich habe gesagt, Sie bluffen nur.«
    Womit er selbstredend Recht hatte.
    Er führte mich einen mit Drucken, Lithographien, Ölgemälden voll gehängten Flur entlang.
    »Also? Habe ich Recht? Sie haben gar nichts gegen ihn in der Hand?«
    Ich nickte, legte aber gleichzeitig den Zeigefinger verschwörerisch auf die Lippen, und er nickte mit großem Ernst zurück.
    Wir kamen zu einer Tür, er klopfte leicht und schwang sie auf, ich ging hindurch.
    Das Büro, in das ich damit trat, hatte Fenster sowohl an der Straßen- wie der Gartenseite, war somit hell und gleichzeitig großzügig proportioniert. Auch der Schreibtisch in seiner Mitte war nicht eben mickrig. In augenscheinlicher Selbstgefälligkeit dahinter hockte ein schlanker Mittsechziger mit tiefer Sonnenbräune, die sein dichtes, silbrig glänzendes Haar zum Leuchten brachte wie einen Heiligenschein. Auf seinem Schoß saß Gretel.
    Ganz recht, die aus dem Märchen, Schwester von Hansel. Doch während man ihren Bruder inzwischen in eine Lakaienuniform gesteckt hatte, trug sie immer noch denselben karierten Faltenrock mit Trägern, die gleichen Kniestrümpfe und die gleiche Zopffrisur, >Affenschaukeln< haben wir da früher immer zu gesagt. Und war ihr der Rock inzwischen zu kurz, war ihr die Bluse in doppeltem Maße zu eng geworden. Mit vollen, neonrosa geschminkten Lippen lutschte sie ein zylindrisches Milcheis auf eine Art, dass man unmöglich zusehen konnte.
    Der Blick, den sie mir dabei zuwarf, ließ Dampf aus meinen Socken steigen.
    Konstantin Georgudopulos' graphitgraue Augen, die ganz wundervoll zu seinem Anzug passten, streiften mich flüchtig und wanderten dann kurz an meiner Schulter vorbei zur Türe in meinem Rücken, ehe sie ihren Weg zurückfanden.
    »Dann war das also nichts als eine billige Finte, Ihre Drohung mit den Behörden?«, sprach er mich völlig ohne Begrüßung an.
    »Petze«, knurrte ich, ohne mich umzudrehen, und Hänsel lachte einmal hell auf, ehe er die Türe hinter sich schloss.
    Ich griff mir einen Stuhl.
    Unter genüsslichem Seufzen saugte Gretel das Eis tief in ihren Mund und zog es langsam und gleichmäßig fast ganz wieder heraus, bevor sie es erneut leise schmatzend hineingleiten ließ. Ein Hauch von schaumigem Sekret bildete sich dabei auf ihren Lippen, und ein milchig weißes Tröpfchen quoll aus ihrem Mundwinkel und rann ihr das Kinn hinab, ohne dass es sie zu stören schien.
    Wie gesagt, man konnte ihr nicht zusehen dabei.
    Die ganze Zeit, egal ob sie ihren Kopf pumpende oder kreisende Bewegungen um den zylindrischen Körper in ihrer Mundhöhle ausführen ließ, hielt sie ihren Blick unverwandt direkt in meinen versenkt. Es war einer der zutiefst verunsichernden Augenblicke meines Lebens, und das Schweigen im Raum half auch nicht unbedingt.
    Schließlich reckte sie sich nach einer Kleenexschachtel, und die Träger ihres Faltenrockes ächzten im Gleichklang mit den Blusenknöpfen unter der Anspannung.
    »Wenn Sie Ihre, äh, Sekretärin für ein paar Minuten aus dem Raum schickten, könnten wir uns wahrscheinlich ganz vernünftig unterhalten«, begann ich nach einem Räuspern.
    »Oh, ich habe volles Vertrauen zu meiner, hm, Schreibkraft«, entgegnete er mit mildem Erstaunen.
    »Das mag sein«, sagte ich, »doch mir lässt sie den Verstand in die Buxe rutschen.«
    Jetzt lachte er. Er hatte eine tiefe, angenehme Stimme, und sein Lachen wirkte so, als käme es leicht und wann es wolle.
    »Die meisten«, feixte er mich an, »versuchen, so zu tun, als wäre Paulina gar nicht anwesend.« Da hieß sie also gar nicht Gretel.
    »Tss«, machte ich und äußerte etwas in dem Sinne

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