Sensenmann
mir! Ich spiele ungern den Alleinunterhalter.« Er drückte auf den Lichtschalter. »Jetzt wollen wir beide mal im Hellen plaudern.« Er trat noch einen Schritt nach vorn und stand jetzt nur noch einen halben Meter entfernt. Matthias konnte sich noch immer nicht rühren. Wenn ihm nicht sofort etwas einfiel, würde das hier gewaltig schieflaufen.
»Warte mal eben.« Etwas flackerte in Rainer Grünkerns Augen, dann kratzte er sich an der Stirn. »Mir kommt da gerade eine Idee. Ich habe dich dort im Park nicht zum ersten Mal gesehen! Wir kennen uns doch von früher, stimmt’s? Du hast dich verändert, aber nicht so sehr, dass man dich nicht mehr wiedererkennen würde. Du warst damals schon ein hübsches Kind.« Der Mund zog sich noch etwas mehr in die Breite und gab den Blick auf gelbe Zähne frei. »Bist du hier, um mit mir über das Kinderheim zu sprechen?«
Matthias spürte, wie der Kloß in seiner Kehle fester wurde und auf die Luftröhre drückte. Ihm war schlecht. Das Gesicht des Mannes vor ihm schien sich aufzublähen und wieder zusammenzufallen. Dass der Typ ihn auf einmal duzte, war kein gutes Zeichen. Rote Schlieren züngelten vor seinen Augen auf und ab.
»Warum schweigst du? Ich habe doch recht, oder?« Rainer Grünkern streckte eine Hand aus, um seinen Besucher zu berühren. Dies weckte Matthias aus seiner Erstarrung. »Weg da! Wagen Sie es nicht, mich anzufassen!«
Konsterniert über den plötzlichen Lärm, zog der Mann seine
Finger zurück, rührte sich aber sonst keinen Millimeter von der Stelle. »Schrei doch nicht so. Ist ja schon gut.« Er reckte den faltigen Hals nach vorn. »Was willst du denn nun von mir? Es ist nicht verboten, sich Pornos herunterzuladen, weißt du? Und die Filme dahinten sind alle legal gekauft.«
»Ist das so?« Matthias hörte seine eigene Stimme wie die eines Fremden, der ein bisschen heiser war. In seinem Kopf brodelte noch immer die Nebelmaschine. »Sind Sie sicher, dass die Polizei keine Kinderpornos findet, wenn sie Ihren Rechner durchsucht?«
Rainer Grünkerns Mundwinkel zuckten kurz, doch er fing sich sofort wieder. »Ich mag eben Kinder. Das verstehen Sie doch sicher. Wer mag Kinder nicht?« Das Schwein grinste noch immer. Er schien überhaupt keine Angst vor dem Besucher zu haben.
»Sie … Sie elender…« Matthias versuchte, den siedenden Zorn unter Kontrolle zu bekommen. Die Finger seiner Rechten ballten sich wie von selbst um den Schlüsselbund in seiner Hosentasche, während der Mann ihm gegenüber weiterredete.
»In diesem Zusammenhang – darf ich fragen, was du damit meinst, die Polizei könnte meinen Computer durchsuchen? Hattest du etwa vor, mich anzuzeigen? Das finde ich aber gar nicht nett von dir. Erst dringst du in meine Wohnung ein – Hausfriedensbruch könnte man das nennen –, dann durchsuchst du meine Zimmer, stiehlst womöglich Dinge, und dann willst du mich anzeigen? Dass ich nicht lache!« Noch während er sprach, machte Rainer Grünkern einen Satz auf Matthias zu und packte ihn an der Kehle. »Das hast du dir so gedacht!« Wie die Klauen eines Greifvogels krallten sich seine Finger in das nachgiebige Gewebe von Matthias’ Hals. »Schreien ist nutzlos! Das ist hier die Eckwohnung. Keiner wird dich hören!«
Matthias hörte sein eigenes Röcheln, dann kam sein Knie nach oben geschossen und rammte sich in den Unterleib seines Gegners,
der augenblicklich zu Boden sackte und wimmerte. Wo war seine Umhängetasche? Der zusammengekrümmte Mann würde höchstens ein paar Minuten außer Gefecht gesetzt sein.
Hastig rannte Matthias in den Flur und kam mit der Tasche zurück, holte im Gehen schon das Paketband und den Cutter hervor. Rainer Grünkern lag, wie er ihn zurückgelassen hatte, auf dem Teppich vor seiner Liege, beide Hände in den Unterleib gepresst, und stöhnte leise. Willenlos ließ er sich fesseln. Auf einen Knebel verzichtete Matthias. Hatte der Typ nicht eben selbst gesagt, schreien sei nutzlos? Außerdem wollte er ihn noch zu seiner Vergangenheit befragen.
»So, Herr Grünkern. Das hätten wir. Wie fühlen Sie sich?«
»Meine Frau kommt jeden Moment vom Einkaufen zurück!« Grünkern spuckte die Worte hervor.
»Ihre Frau!« Matthias fühlte, wie sich seine Anspannung in einem unkontrollierbaren Kichern auflöste. »Ihre Frau … Für wie blöd halten Sie mich? Es gibt hier keine Frau. Niemand kommt gleich von irgendwoher, um Sie zu ›befreien‹. Wir beide sind allein in dieser Wohnung und werden es auch
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