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Sensenmann

Sensenmann

Titel: Sensenmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clausia Puhlfürst
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Wo hatte er dieses Schweineantlitz schon einmal gesehen? Und wer war das Mädchen gewesen? Er hatte ihr Gesicht nicht sehen können, weil die beiden Teufel ihr einen Stoffbeutel über den Kopf gezogen hatten. Aber die Kleine war höchstens sieben, acht Jahre alt gewesen.
    Matthias spuckte auf die mit Moos überwucherten Gehwegplatten. Der Name dieser fetten Frau würde ihm einfallen. Er hatte ihn schon einmal gehört, er wusste es. Zu Hause würde er seine Aufzeichnungen durchsehen, die Mails von Sebastian Wallau alle noch einmal lesen und dann musste ihm ihre Identität ins Gesicht springen.
    Wie von selbst setzten sich seine Füße in Bewegung. War er eigentlich in den oberen Etagen des Hauptgebäudes gewesen? Nichts als weißen Nebel im Kopf, marschierte Matthias Hase auf das Pförtnerhaus zu. Das Bauwerk mit den beiden unterschiedlich großen Spitzdächern war von Birken und anderem Gesträuch zugewuchert. Zu DDR-Zeiten hatten die Erzieher das Gebäude als Abstellmöglichkeit für Gartengeräte und Gerümpel verwendet. Gewohnt hatte hier niemand, und es war den Kindern strengstens untersagt gewesen, sich hier aufzuhalten. Und doch kannte er das Innenleben des Häuschens. Rechts neben der Eingangstür gab es eine Art Vorraum, wo Straßenschuhe und Mäntel abgelegt werden konnten. Vorsichtig strich Matthias mit den Fingern über die rostigen Nagelköpfe an den Brettern vor dem Eingang. Die Tür dahinter schien zu fehlen. Ein kräftiger Ruck und das Machwerk würde auseinanderfallen. Vom Vorraum aus
kam man in ein größeres Zimmer, das nach vorn und nach hinten heraus je ein Fenster hatte. Im Erdgeschoss gab es dazu nur noch eine winzige Toilette. Über eine schmale Holztreppe gelangte man nach oben in das spitzgiebelige Dachgeschoss, das nur aus einem einzigen Raum bestand. Matthias riss an den Planken und machte einen Satz rückwärts, als ihm das ganze Brettergeflecht entgegenkam. Grauer Staub wirbelte im Sonnenlicht, ein paar Spinnen huschten zurück ins Dunkle. Er konnte nicht verhindern, dass seine Zähne klapperten.
    »Leg ihn auf die Seite! Na mach schon, zum Teufel!« Hektisches Scharren. Das heisere Flüstern wurde drängender. »Hast du seinen Mund kontrolliert? Die Atemwege müssen frei sein!«
    »Er muss sich erbrochen haben. Vorhin. Als wir drüben waren! Ich fühle keinen Puls! Ist er etwa erstickt?«
    »Such am Hals, los! Am Handgelenk ist es zu unsicher.«
    »Nichts.«
    »Lass mich mal ran.« Feste Schritte. Dann war Stille, nur unterbrochen von leisem Atmen.
    »Mach mal Licht.« Ein dünner Lichtstrahl glitt über einen verkrümmten kleinen Körper. »Leuchte ins Gesicht, dumme Kuh, nicht auf die Füße!« Hervorquellende Augen, weite Pupillen.
    »Und?«
    »Nichts. Der sieht irgendwie tot aus.«
    »Scheiße.« Der Lichtstrahl wanderte über die Dielen zu einem Paar metallbeschlagener Stiefel. »Bist du dir sicher?«
    »Ziemlich.«
    »Scheiße, Scheiße, Scheiße. Und nun?«
    »Wir müssen das Balg wegschaffen. Heute Nacht noch.«
    »Wohin?«
    »Weiß ich noch nicht. Vielleicht in das Wäldchen. Wir buddeln ihn richtig tief ein.«

    »Wird denn niemand fragen, wo er auf einmal hin ist?«
    »Lass mich das machen. Den vermisst keiner. Seine Eltern sind tot, Geschwister hat er nicht und er war auch erst ein paar Tage da. Wir können die Akten verschwinden lassen. Nach dem fragt doch niemand. Ist er halt adoptiert worden.«
    »Glaubst du, das klappt?«
    »Sicher wird das funktionieren. Aber wir müssen uns in den nächsten Monaten hier ein bisschen zurückhalten und unsere Aktivitäten einschränken.« Ein Klicken. Dann raschelte etwas.
    »Hast du das gehört?« Der Strahl der Taschenlampe huschte zum Fenster. »Ist da jemand draußen?«
    »Ich geh nachschauen. Bleib hier, bin gleich wieder da.« Die Stiefel klapperten über den Boden.
     
    In Matthias’ Kopf heulte eine Sirene los. Er presste die Hände auf die Ohren und schrie, um das Jaulen zu übertönen.

37
    »Hallo, Frau Sandmann. Schön, dass Sie da sind.« Mark reichte seiner Patientin die Hand. Sie erwiderte den Druck nicht. Sowie er sie losgelassen hatte, fiel ihre Rechte wie ein toter Vogel nach unten.
    »Wie viel Zeit haben wir?« Maria Sandmann ging unsicher zum Tisch und setzte sich, die Beine eng zusammengepresst, den Rücken stocksteif.
    »Eine Stunde. Warum fragen Sie das?«
    »Ich habe einiges zu erzählen. Und wie Sie letztens sagten, dauert die Hy …«, sie brachte das Wort nicht heraus und setzte noch einmal neu an, »die

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