Sensenmann
lösten und verschränkten sich aufs Neue. Ihr Mund öffnete sich und schnappte dann wieder zu. Es fiel ihr sichtlich schwer zu sprechen, und so ergriff Mark das Wort.
»Sie sagten vorhin, es gäbe ein Problem.«
»Ja.«
»Können Sie beschreiben, worum es sich dabei handelt?«
»Ja.« Wieder schnappte der Mund zu. Die Finger hielten einander jetzt so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. Sie sagte »Ja«, und ihr Körper sprach »Nein«.
»Hat es etwas mit Ihrer Vergangenheit zu tun, Frau Sandmann? Oder ist es etwas Aktuelles?« Sie schüttelte mit fest zusammengepressten Lippen den Kopf, und Mark setzte nach. »Ich möchte Ihnen gern helfen. Das geht aber nur, wenn ich weiß, worum es sich handelt. Es ist etwas Unvorhergesehenes passiert, etwas, das nicht bis morgen Zeit hat, sonst wären Sie nicht hier. Nicht wahr?«
Jetzt nickte sie. Die Hände lösten sich voneinander, und sie griff nach ihrer Handtasche. »Also gut. Deswegen bin ich da, ganz richtig. Ich habe einen Brief bekommen.«
»Aha? Von wem?« Mark sah, wie sie am Reißverschluss riss und dann in die Tasche spähte, als verstecke sich darin eine Schlange. »Haben Sie den Brief mit?«
»Ja.« Die rechte Hand verschwand und kam gleich darauf mit einem hellgelben Kuvert wieder zum Vorschein. »Es ist ein Brief von einem Mann namens Matthias. Er schreibt, er sei mein Bruder.« Sie schloss kurz die Augen und öffnete sie dann ganz schnell wieder. »Aber ich habe gar keinen Bruder!«
»Tschüss, bis morgen dann!« Isabell blieb noch einen Augenblick neben Laras Schreibtisch stehen, als wolle sie noch etwas sagen, traue sich aber nicht. Schließlich fasste sie sich doch ein Herz. »Ich habe den Fleischer angerufen. Wegen der Platten.«
»Das ist gut. Morgen kaufe ich den Sekt. Wir sollten halbtrockenen nehmen, was meinst du?« Lara schaute hoch. Isabells Augen waren gerötet, und ihre Mascara war verschmiert. Sie sah aus, als hätte sie geweint.
»In Ordnung. Einen Aushang habe ich auch gemacht.« Die Praktikantin zeigte auf die Pinnwand über dem großen Kopierer.
»Na, dann kann ja nichts mehr schiefgehen.« Lara schrieb »Sekt, Isi« auf eine Haftnotiz und klebte diese an den Rand ihres Bildschirms. Gleich morgen Vormittag würde sie sich der Sache annehmen.
»Weißt du, wo Tom heute war?«
Lara, die den Blick schon wieder auf den Bildschirm gerichtet hatte, wandte sich erneut der Praktikantin zu. »Gestern hat er wohl den ganzen Tag im Gericht verbracht, aber heute? War er nicht am Vormittag hier? Hast du mal in der Abwesenheitsliste nachgeschaut?«
»Da steht nichts.« Isabells Unterlippe bebte leicht. »Seit Tagen weicht er mir aus. Ich …« Sie brach ab. Die Unterlippe zitterte stärker.
»Das ist allerdings komisch. Ich wurde letztens noch gemaßregelt, weil ich vergessen hatte, mich einzutragen, aber für ihn gelten wohl andere Regeln.«
»Ich weiß.« Isabell war einen Schritt an Laras Schreibtisch herangetreten und flüsterte jetzt. »Er mag dich nicht.«
»Was?« Lara hatte die Stimme auch gesenkt.
»Tom meine ich. Er hasst dich regelrecht; denkt, du bist überheblich und karrieregeil. Und dass du ihn ausstechen willst. Das hat er mir mal erzählt. Ist allerdings schon eine Weile her.« Jetzt schniefte Isabell und drückte sich den Handrücken an die Nase.
»Na, wenn das mal nicht seine eigenen Machenschaften sind, die er da auf mich projiziert. Du darfst dich nicht so von ihm beeinflussen lassen, Isi. Sieh mal«, Lara berührte die Hand der jungen Frau, »egal, was er behauptet hat, er wird dir keine Träne nachweinen, wenn du nicht mehr da bist. Da bin ich mir sicher. Besser, du vergisst ihn ganz schnell.«
»Er hat mich nur ausgenutzt!«
»Da muss ich dir leider zustimmen, Kleine. Aber das stehst du schon durch. Du bist doch eine starke Frau.« Lara betrachtete das zitternde Häufchen Elend, das vor ihr stand und in nichts einer »starken Frau« glich, und Isabell tat ihr leid. Niemand hatte es verdient, von Tom Fränkel ausgenutzt zu werden.
»Danke dir. Du bist wirklich nett.« Noch einmal wischte sich Isabell über die Nase und versuchte dann ein schiefes Lächeln. »Schade, dass ich mich so habe von ihm beeinflussen lassen, was dich betrifft. Aber vielleicht kann ich es wiedergutmachen.« Mit diesen Worten drehte sie sich um und stakste davon. Lara sah ihr nach und überlegte, was die Praktikantin gemeint haben mochte, vergaß aber den Gedanken schnell wieder und wandte sich ihren Recherchen zu.
In den
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