Sensenmann
» Klar ist es spannend, wenn etwas Neues beginnt, aber ich war auch gern hier.« Dabei warf sie einen schnellen Blick nach draußen in Richtung Toms Arbeitsplatz.
»Das verstehe ich. Gibst du einen Ausstand?«
»Am Freitag.« Es klang wie eine Frage. Isabell pustete über ihren Kaffee, obwohl das Gebräu höchstens lauwarm war, nippte und schielte dann zu Lara. »Du wolltest mir doch dabei helfen.«
»Aber klar doch!« Lara riss die Augen auf. Dieses Versprechen hatte sie völlig verdrängt. »Hast du schon einen Plan gemacht?«
»Nicht wirklich.«
»Dann reden wir lieber gleich darüber, sonst vergesse ich es womöglich noch. Was hattest du dir denn vorgestellt?«
»Hubert hat mir erzählt, die vorhergehende Praktikantin hätte so eine Art kaltes Buffet aufgebaut.«
»Das war aber ziemlich übertrieben.« Jo grinste die beiden Frauen an. »Mach nicht so einen Riesenaufwand, Isi. Das dankt dir doch keiner. Ein paar Schnittchen, ein Gläschen Sekt. Das reicht.«
»Jo hat recht.« Lara stellte die Wasserflasche auf die Arbeitsplatte. »Therese hat damals viel zu viel aufgefahren.« Ganz kurz kam die Erinnerung an die zierliche junge Frau mit den hellblond gefärbten Haaren zurück. Sie betrachtete Isabell, während sie weiterredete. »Wir könnten einen Fleischer damit beauftragen, ein paar Platten anzurichten. Das kostet nicht die Welt.« Auch die kleine Therese hatte perfekt in Toms Beuteschema gepasst. Er stand auf junge blonde Hüpfer, wie er selbst einmal behauptet
hatte. Lara war sich nicht ganz sicher, aber wahrscheinlich hatte Tom auch mit Isabells Vorgängerin etwas gehabt. Therese war noch nicht einmal drei Wochen weg gewesen, da hatte er schon mit Isabell geflirtet. Er stellte sich jedoch immer so geschickt dabei an, dass es niemandem auffiel. Sexuelle Verhältnisse mit Praktikantinnen wären sicherlich auch nicht so gut beim Chef angekommen. Hampenmann hasste es, wenn die Kollegen zu privat miteinander waren.
»Gute Idee.« Isabells Wangen waren gerötet. »Wie viele bräuchten wir denn?«
»Rechne zwanzig Personen.« Jo goss sich noch eine halbe Tasse Kaffee nach. »Das kalkuliert der Fleischer. Die haben Erfahrung damit. Was übrig bleibt, kannst du mitnehmen.«
»Könnt ihr mir einen empfehlen?« Während Lara ihr antwortete, griff die Praktikantin nach einem Notizblock, der immer auf dem Regal neben der Spüle lag, und begann zu schreiben.
»Wir sollten das am Freitag in der Mittagspause anliefern lassen. Den Ausstand gibst du aber erst kurz bevor alle gehen, sonst meckert Hampenmann womöglich wegen des Alkohols in der Arbeitszeit. Und du solltest den Kollegen das Ganze mit einem kleinen Aushang ankündigen.«
»Das ist eine gute Idee.« Isabell schrieb die Hinweise auf. »Danke, Lara.« Sie wurde rot und drehte sich zur Seite. »Und danke, Jo. Das war nett von euch.«
»Keine Ursache.« Lara lächelte. Die Kleine tat ihr ein bisschen leid. Tom hatte sie in den letzten Tagen abblitzen lassen, und sie hatte keine Ahnung, warum. »Jetzt habe ich noch ein paar Dinge zu erledigen. Du rufst beim Fleischer an?« Lara wartete, bis Isabell nickte, und stellte ihre Tasse in den Geschirrspüler. »Fein. Den Sekt kaufe ich. Drei Flaschen reichen. So viele sind am Freitag nicht hier.«
Sie lächelte Isabell zu und verließ die Küche. Sie wollte noch ein bisschen in den Kinderheim-Foren stöbern und ein paar Fragen
an Ehemalige posten. Vielleicht hatte sie Glück, und es antwortete ihr jemand, der Rainer Grünkern gekannt hatte.
Der Kilometerzähler addierte Zahlen. Leise summte der Golf vor sich hin. Bäume huschten vorbei und hinterließen ein feines Flackern auf Matthias’ Netzhaut. Es war nicht mehr weit. Nachdem er mithilfe seiner E-Mail-Freunde auch den Vornamen der Erzieherin – Karin – herausgefunden hatte, war die Recherche im Netz nicht mehr sehr schwierig gewesen. Miss Piggy war in der Nähe ihres ehemaligen Wirkungsortes geblieben. Sie wohnte in Chemnitz. Chemnitz war sehr gut, denn dort lagerten vermutlich auch die gesuchten Akten. So konnte Matthias zwei Dinge auf einmal erledigen. Zuerst wollte er ins Staatsarchiv. Danach war ein kleiner Besuch bei Madam Schweinenase geplant. Das blaue Hinweisschild kündigte an, dass es noch zwei Kilometer bis zur Autobahnabfahrt waren. Matthias war lange nicht hier gewesen. Die Planer hatten ein monströses System von Schleifen, Brücken und Betonpisten gebaut, das für eine Stadt wie Chemnitz völlig überdimensioniert schien.
Er
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