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Sensenmann

Sensenmann

Titel: Sensenmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clausia Puhlfürst
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gesund aus. Lass uns gehen, bevor die Semper merkt, dass wir in ihrem Garten herumschleichen!«
    »Warte!« Max kratzte sich an der Nase. »Wieso lässt sie ihn nicht rein?«
    »Vielleicht ist sie einkaufen oder so. Lass uns verschwinden!«
    »Ich schau mal nach.« Max ließ seine neongrüne Umhängetasche ins Gras fallen und betrat die erste Stufe. Justin spürte
seine Blase. Er musste plötzlich ganz dringend. Während er noch dachte, dass das Wimmern des Katers tatsächlich dem Weinen eines Babys glich, hörte er Max’ Aufschrei.
    Dann rannte er die Stufen hoch, sah, was Max in der Küche gesehen hatte, und begann ebenfalls zu schreien.
    Vergessen waren die Befürchtungen, dass sie wegen all dem wahrscheinlich großen Ärger bekommen würden. Vergessen Justins Mutter, die mit dem Essen wartete, vergessen das Verbot, fremde Gärten zu betreten. Max und Justin schrien sich die Kehle aus dem Leib. Dann rannten sie, so schnell sie konnten, nach Hause.

11
    Lara betrachtete gedankenverloren den Kaffeesatz in ihrer Tasse. Wie konnten manche Menschen darin etwas Ungewöhnliches entdecken? Dann wanderte ihr Blick zur Uhr. Erschrocken beschloss sie, sich nun endlich an die Arbeit zu machen. Das Wochenende dauerte nicht ewig. Wenn sie ihren Plan, in Grünau zu recherchieren, in die Tat umsetzen wollte, würde sie allmählich aufbrechen müssen. Es war schon kurz vor zehn.
    Noch einmal durchdachte sie ihr Vorhaben und schob dann den Stuhl mit einem Ruck nach hinten. Nach dem Telefongespräch mit Mark am Donnerstag war ihr bewusst geworden, dass sie Toms Verhalten nicht akzeptieren konnte. Mochten Friedrich, Mark und Jo recht damit haben, dass sie sich einige Arbeit ersparte, aber Lara Birkenfeld wollte niemand sein, der sich einfach unterbuttern ließ. Wenn sie jetzt nachgab, würde die Brüskierung monatelang an ihr nagen.
    Bei jeder Mahlzeit saß sie mit uns am Tisch. Und wehe, eins der Kinder wollte nicht aufessen!

    Laras schweißnasse Hand hielt sich am Küchenschrank fest. Schwungvoll nach rechts geneigte Buchstaben oszillierten vor ihr auf der elfenbeinfarbenen Tür des Hängeschrankes. Wie war sie überhaupt hierhergekommen? Lara kniff die Augen zusammen, riss sie gleich darauf wieder auf und drehte sich um. Ihre Küche war leer. Leer wie immer, seit Peter ausgezogen war. Kopfschüttelnd ließ sie etwas Leitungswasser in ihre Kaffeetasse laufen.
    versalzen, mit Essigessenz versetzt, übermäßig gepfeffert, mit ungarischen Peperoni vermischt
    Du meine Güte. Was war das denn? Machte ihr Kopf jetzt schon schriftliche Vorschläge für das Wochenendmenü? Lara rieb sich die Augen, tappte zum Tisch und setzte sich. Am Mittwoch hatte sie Geräusche gehört, und jetzt materialisierten sich Buchstaben in der Luft! Bei einer Computertomografie ihres Kopfes vor einigen Monaten war nichts Auffälliges gefunden worden, kein Tumor, nichts. Nach und nach musste sie sich eingestehen, dass die Idee, die Ärzte würden in ihrem Gehirn etwas finden, nur daher rührte, dass sie sich vor der Alternative fürchtete. Und zwar vor dem Eingeständnis, anders zu sein. Sie wollte es nicht wahrhaben, dass sie Geschehnisse »sehen« konnte. Dass sie von Dingen wusste, die sich zur selben Zeit an anderen Orten ereigneten. Das hatte etwas von Verrücktsein an sich. Seit ihrer Kindheit hatte sie versucht, diese Ahnungen zu unterdrücken, bis sie im vergangenen Herbst zum ersten Mal seit Jahren mit brachialer Gewalt zurückgekommen waren.
    Als ich ging, entwischte ihr Kater durch die Terrassentür in den Garten. Im Dunkeln habe ich nicht richtig aufgepasst. Ich hatte ihn eigentlich im Haus einsperren wollen. Aber das spielt nun auch keine Rolle mehr. Vielleicht ist das Vieh draußen sogar besser aufgehoben. Es kann lernen, Mäuse zu fangen.
    Jetzt erschien auch ein verwaschenes Bild zu den Buchstaben. Ein schwarzer Kugelschreiber flimmerte über ein Blatt. Am linken Rand kringelten sich stilisierte Weinranken. Das Blatt sah
aus wie Briefpapier. Jemand schrieb einen Brief, in dem es um das Würzen von Speisen und einen fetten Kater ging, der auf die Terrasse gelaufen war. Lara schloss die Augen und versuchte, Details zu erkennen; mehr von der Umgebung und der Person, die da schrieb, aber stattdessen entfärbte sich das Bild, die Buchstaben verblassten und verschwanden ganz. Es hatte keinen Zweck. Sie öffnete die Augen wieder und blinzelte zweimal, um die Schlieren zu entfernen. Sie stand noch immer in ihrer Küche, gegen den Hängeschrank

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