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Sensenmann

Sensenmann

Titel: Sensenmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clausia Puhlfürst
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Konnte man davon ausgehen, dass sich die Leute hier alle kannten? Würde ein Fremder überhaupt auffallen? Schließlich war das ein ziemlich anonymes Plattenbauviertel, keine Vorortsiedlung.
    »Oh.« Frau Ehrsam goss reichlich Sahne in ihre Tasse und hob sie mit beiden Händen zum Mund. Erst nachdem sie mehrere winzige Schlucke genommen und den Kaffee wieder abgestellt hatte, sprach sie weiter. »Ich kann oft nachts nicht schlafen. Im Sommer setze ich mich dann mit Struppi auf den Balkon. Wussten Sie, dass die Vögel schon ab halb vier zu zwitschern beginnen?
« Lara tat so, als sei sie erstaunt. Vielleicht kam noch etwas Interessantes hinterher.
    »Um diese Zeit ist es immer am ruhigsten hier.« Die Alte verschränkte ihre zitternden Finger. Ihr Hund saß neben dem Stuhl und ließ kein Auge von seiner Besitzerin. Wahrscheinlich hoffte er auf ein Stückchen Zucker. »Bis auf die Vögel wie gesagt. Sie glauben gar nicht, was wir hier alles haben. Meisen, Grünfinken, Amseln natürlich, aber auch Stare. Und die Spatzen. Aber die sind ja überall.«
    »Das ist ja toll.« Vielleicht wollte die Alte sich nur mal wieder mit jemandem unterhalten. Lara stellte ihre Tasse ab und setzte sich gerade hin.
    »Und letzte Woche stand drüben dreimal ein schwarzes Auto, das sonst nicht dort steht. Da drüben steht eigentlich nie ein Auto. Weil die Blocks doch alle abgerissen werden sollen.«
    »Ein schwarzes Auto sagen Sie?«
    »Ob es wirklich schwarz war, kann ich natürlich nicht sagen. Nachts erkennt man das nicht richtig. Es könnte auch dunkelgrau oder dunkelblau gewesen sein.«
    »Können Sie mir zeigen, wo es geparkt hat?« Lara hatte sich im Stuhl aufgerichtet. Was die Alte beobachtet hatte, klang interessant.
    »Gehen wir auf den Balkon.« Frau Ehrsam watschelte voraus. »Es war da drüben.« Ein zittriger Zeigefinger deutete auf die gegenüberliegende Seite, wo Bagger lehmigen Staub aufwirbelten. »Da waren ja letzte Woche noch Häuser.«
    »Warum ist Ihnen dieses Auto überhaupt aufgefallen?«
    »Warum?« Die Runzeln auf der Stirn der alten Frau schienen sich zu vertiefen. »Wie gesagt, weil da sonst nie jemand parkt. Die Leute, die hier wohnen, haben alle Stellplätze.«
    »Das leuchtet mir ein. Und das gleiche Auto stand an mehreren Abenden dort, sagen Sie? Sind Sie sicher, dass es ein und derselbe Wagen war?«

    »Nicht abends  – nachts . Ich höre zwar ein bisschen schwer, aber meine Augen sind noch ganz gut.« Zur Bestätigung rückte sie die Brille gerade.
    »Haben Sie jemanden ein- oder aussteigen sehen?«
    »Einmal ist eine Gestalt in einem der Hauseingänge verschwunden. Ich habe nur noch den Rücken gesehen. Könnte sonst wer gewesen sein. Und muss auch nicht aus dem schwarzen Auto gekommen sein.« Die Alte zuckte mit den Schultern und machte sich wieder auf den Weg nach drinnen.
    »Und die Automarke haben Sie nicht erkannt? Oder das Kennzeichen?«
    Sie waren wieder am Küchentisch angekommen. »Nein, leider.«
    Lara unterdrückte ein Seufzen. Das wäre ja auch zu schön gewesen. »Trotzdem danke. Das war sehr interessant für mich. Wenn Ihnen noch etwas einfällt …«
    Frau Ehrsam war neben dem Stuhl stehen geblieben. Ein Zeichen, dass sie das Gespräch beenden wollte. »Und wann erscheint der Bericht?«
    »Das kann ich noch nicht genau sagen.« Beim Einsortieren ihrer Utensilien schaute Lara nicht hoch. Vielleicht würde Tom am Montag wieder einen seiner elegischen Artikel schreiben  – wenn er neue Erkenntnisse hatte  –, aber dieser würde nichts von Frau Ehrsam enthalten. »Mein Kollege und ich bearbeiten das parallel. Wir müssen unsere Erkenntnisse erst sammeln und mit der Polizei abgleichen. Und das mit dem Auto ist ja momentan auch noch ziemlich vage.«
    Auf dem Weg zur Wohnungstür fiel Lara noch etwas ein. »Wissen Sie, wo sich die Jugendlichen hier treffen?«
    »Hier gibt es kaum noch Jugendliche.« Die Alte schlurfte vor Lara her. »Nur noch Rentner, so wie mich.« Ihre Schuhe schlappten. »Als die das hier in den Siebzigern gebaut haben, wimmelte es von jungen Familien mit Kindern. Jeder wollte in so eine Neubauwohnung
mit Fernheizung ziehen. Dann sind die Kinder größer geworden und weggezogen. Und nun sind nur noch wir Alten übrig.« Frau Ehrsam holte röchelnd Luft. Der kleine weiße Hund rannte aufgeregt auf und ab. Wahrscheinlich dachte er, es ginge nun hinaus.
    »Ich verstehe. Schade.«
    »Ein paar sind natürlich noch da. Alles Asoziale, wenn Sie mich fragen.« Die Alte

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