Sensenmann
»Eigentlich-interessiert-mich-das-alles-garnicht«-Gesicht auf. Na komm schon! Ich habe dir doch vorhin auch fast alles über den pädophilen Arzt erzählt! »Hat denn die Obduktion etwas Neues ergeben?«
»Ich glaube nicht.«
Lara sah, wie Ralf Schädlich sich in der Gaststätte umblickte, als fürchte er, beim Ausplaudern interner Informationen beobachtet zu werden. Dabei hatte er bis jetzt noch gar nichts Spannendes von sich gegeben. Und was sollte »ich glaube« heißen? Wusste er es nicht besser, oder wollte er nichts sagen? Der Pressesprecher, den sie heute Vormittag vom Gericht aus angerufen hatte, war auch ziemlich wortkarg gewesen. Der Obduktionsbericht läge vor, man könne jedoch aus ermittlungstaktischen Gründen keine Details an die Öffentlichkeit geben. Die üblichen Floskeln. »Steht denn die Identität des Opfers schon fest?« Sie bemerkte, wie Schädlich unbewusst den Kopf schüttelte, und setzte schnell hinzu: »Keine Angst, davon wird nichts in der Tagespresse stehen. Ich frage nur aus persönlicher Neugier.«
»Wir überprüfen gerade alle infrage kommenden Vermisstenfälle.«
»Und? Gibt es schon Ergebnisse?« Das war ja Schwerstarbeit. Ihr Gesprächspartner ließ sich jede Einzelheit aus der Nase ziehen.
»Wir haben eine Spur zu einem vermissten Mann aus Wurzen.«
»Aha!« Schnell wandte Lara den Blick ab, um das Funkeln ihrer Augen zu verbergen, und trank noch einen Schluck von der Schorle, die inzwischen lauwarm geworden war.
»Es ist aber nur eine Möglichkeit von vielen.«
»Na, da haben Sie wenigstens etwas, dem Sie nachgehen können.« Lara stellte ihr Glas ab und lächelte beschwichtigend. Aber sicher, mein Lieber. Rudere nur zurück. Sie würde jetzt noch ein bisschen auf den Busch klopfen und dann zum Ende der »Verabredung« überleiten. Es ging auf zwanzig Uhr zu, und sie musste morgen wieder in die Redaktion. »Ich frage mich, warum das Opfer gerade in diesem Haus ertränkt wurde. Das kann doch eigentlich nur bedeuten, dass der Täter Grünau kennt, nicht? Das wiederum heißt, es kann eigentlich nur ein Einheimischer gewesen sein.«
»Das ist möglich, aber nicht zwingend.« Der Kerl war eine
Auster. Sie musste jetzt aufhören, Fragen zu stellen, sonst roch der Kriminalobermeister Lunte. Lara startete einen letzten Versuch. »Und etwas, worüber ich noch gestolpert bin: Warum hat der Täter das Opfer ertränkt? Das war doch nur mit ziemlichem Aufwand zu bewerkstelligen, nicht? Schließlich war das Wasser in den Blocks längst abgestellt.«
»Das sehen wir auch so. Ich kann aber auch dazu noch nichts sagen.« Seine Finger schoben den Bierdeckel auf der Tischdecke hin und her.
»Das verstehe ich doch.« Lara streckte ihre Hand aus, um sie auf die des Kriminalobermeisters zu legen, zog sie aber im letzten Moment zurück. Sie wollte keine falschen Hoffnungen in ihm wecken. Aber vielleicht hatte sie das längst getan. Das schlechte Gewissen erwachte und nagte erneut an ihr. Es wurde Zeit, dem Ende des Abends entgegenzusteuern. Lara kramte in ihrer Tasche und legte das Portemonnaie auf den Tisch, während sie kurz darüber nachdachte, ob sie Ralf Schädlich von der alten Dame und dem schwarzen Auto vor den Abbruchhäusern erzählen sollte. Das würde jedoch bedeuten, dass sie ihre privaten Nachforschungen gestehen müsste. Und das wiederum würde den Argwohn des Kripobeamten mit Sicherheit wecken, so er denn nicht schon erwacht war. »Ich muss morgen wieder früh raus.« Ein entschuldigendes Lächeln.
»Ich auch. Bezahlen wir.« Ralf Schädlich hob den Arm und winkte dem Kellner. »Das war ein netter Abend, Lara.«
Lara ? Wollte er sie jetzt duzen? Sie tat, als habe sie den letzten Satz nicht gehört, und steckte die Rechnung ein. Sie erhoben sich gleichzeitig, dann marschierte Schädlich vorneweg. Er war ein paar Zentimeter kleiner als Lara. Sie betrachtete die bullige Gestalt vor sich und dachte dabei an Mark. Sie brauchte jetzt den Rat eines Freundes. Auf dem Parkplatz vor dem Lokal verabschiedeten sich Lara und Ralf Schädlich mit einem Handschlag voneinander.
Lara setzte sich in ihren Mini Cooper, schloss die Tür und atmete tief durch. So etwas war nichts für sie. Ralf Schädlich war ein netter Mann, aber gar nicht ihr Typ. Sie spürte noch die Wärme seiner Handfläche in ihrer Rechten. Hoffentlich wollte er sich jetzt nicht öfter mit ihr treffen. Die Luft im Wagen war stickig und roch nach Staub. Das Auto des Kripobeamten kurvte schwungvoll aus der Parklücke.
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