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Sensenmann

Sensenmann

Titel: Sensenmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clausia Puhlfürst
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brachte sie in den Flur. Dann holte er sich eine Pepsi light und ging ins Arbeitszimmer. In seinem Kopf begann es zu summen.

     
    Die Windows-Musik ertönte. Matthias nahm einen Schluck Cola. Nach dem Abstellen zitterte die Flüssigkeit im Glas noch ein bisschen. Vorsichtig senkte er die Finger auf die Tasten und loggte sich in seinen E-Mail-Account ein. Es dauerte scheinbar endlose Sekunden, bis das Bild sich aufgebaut hatte. Matthias kniff die Augen zusammen und öffnete sie sofort wieder. Das Summen hinter seiner Stirn verdichtete sich zu einem Raunen. Wie von selbst senkte sich der Zeigefinger auf die linke Maustaste und klickte auf die Mail mit dem Absender »[email protected]«.
    Lieber Matthias,
     
    vielen Dank für Deine Zeilen! Ich habe mich unheimlich darüber gefreut!
    Ich will mich kurz vorstellen, denn wie Du ja schon selbst bemerkt hast, habe ich es noch nicht geschafft, die persönlichen Informationen über mich ins Netz zu stellen. Mein Name ist Sebastian Wallau, und ich bin im Frühjahr 1988 in das Kinderheim »Ernst Thälmann« gekommen. Bei meiner Ankunft war ich dreizehn.
    Du schreibst, Du warst von 1976 bis 1987, als Du achtzehn geworden bist, im Heim. Fast elf Jahre  – Mann, das ist ganz schön lang!
    Da ich erst 1988 da war, können wir uns also nicht begegnet sein. Aber das macht nichts, wir können uns trotzdem austauschen, oder?
    Weil das Heim zum Jahresende 1989 aufgelöst wurde, dauerte mein Aufenthalt nur anderthalb Jahre. Zu meinem Glück, kann ich heute sagen. Ich war dann noch bis zu meinem 18. Lebensjahr in der Kinderarche Sachsen. Jetzt lebe ich in Zwickau. Ich bin verheiratet und habe zwei Kinder, einen Jungen und ein Mädchen.

    Nun aber zu Deinen Fragen. Ich kann mich nicht mehr an alles erinnern. Es gab ja etliche Erzieher  – Frühschicht, Mittagsschicht und Nachtschicht  –, und man hatte nicht mit allen zu tun.
    Als ich im Frühjahr 1988 hinkam, war die Heimleiterin eine Frau Sagorski. Kanntest Du sie auch? Sie machte anfangs einen sehr netten Eindruck, war herzlich, bemühte sich um mich und gab die liebenswürdige, besorgte Erzieherin. Ich war ziemlich entsetzt, als sich herausstellte, dass diese Freundlichkeit nur Heuchelei war. Sehr schnell wurde deutlich, dass diese Frau immer nur dann die Nette mimte, wenn jemand Offizielles im Heim war. Kaum verließen uns die Besucher, fiel ihre Maske, und sie wurde mit einem Schlag herrschsüchtig, zänkisch und bösartig. Eine richtige Domina!
    Wir Kinder versuchten, ihr tunlichst aus dem Weg zu gehen, aber immer gelang uns das nicht. Die Sagorski hockte zwar die meiste Zeit in ihrem Büro, telefonierte, füllte Akten aus oder hielt Besprechungen ab, aber ab und an zitierte sie einen von uns zu sich.
    Matthias ballte die Fäuste, schloss die Augen und ließ das Kinn auf die Brust sinken. Eine kleine dicke Frau tauchte vor seinem inneren Auge auf. Sie saß hinter ihrem riesigen Schreibtisch, fuchtelte mit den Armen und grinste dabei höhnisch. Ihr Mund öffnete und schloss sich, aber er konnte kein Wort hören. Wieso hatte er sich bis jetzt nicht an die Sagorski, diese gefühllose, unbarmherzige Heimleiterin erinnert? Auch ihn hatte sie in ihr Büro zitiert, auch er musste vor ihr auf dem harten Bürostuhl sitzen und ihre keifende Stimme über sich ergehen lassen, auch er hatte unter ihrer Großmannssucht gelitten. Die Sagorski hatte die Kinder nicht persönlich gequält, das überließ sie ihren Untergebenen. Matthias öffnete die Augen wieder. Die Sternenpunkte des Bildschirmschoners flogen auf ihn zu. War jemand wie die
Sagorski es wert, bestraft zu werden? Körperlich hatte sie niemandem Schaden zugefügt, aber die Demütigung durch permanente Erniedrigung war schrecklich gewesen. Er hielt die Hände mit den Handflächen nach unten vor sich hin und betrachtete seine Fingerspitzen. Sie zitterten.
    Matthias beschloss, die Entscheidung auf später zu vertagen. Vielleicht hatte Sebastian noch mehr Namen für ihn.
    Dann war da noch Herr Meller. Ich glaube, er hieß mit Vornamen Siegfried, aber wir nannten ihn nur »Fischgesicht«. Du müsstest ihn kennen, denn es hieß, dass Meller schon ewig im Kinderheim gearbeitet hätte. Er hatte diese ekelhaft roten Schlauchboot-Lippen. Hätte es das in der DDR schon gegeben, ich hätte geschworen, dass er sie sich hat aufspritzen lassen! Meller war ein Schwein. Ich weiß von mehreren Kindern, dass er sie im Keller gequält hat. Dabei war Wasser sein bevorzugtes

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