Sentry - Die Jack Schilt Saga: Die Abenteuer des Jack Schilt (German Edition)
Pferd zu zähmen.
„Wenn du dich nicht eingemischt hättest, würde ich es geschafft haben!“ behauptete ich gespielt aufgebracht.
„Klar, du hättest dich mal sehen sollen. Wie ein nasser Sack hingst du da hinten drauf. Wenn es mir gelungen wäre, das Vieh am Hals zu packen und zu Boden zu zwingen, hätten wir vielleicht eine Chance gehabt.“
So setzten wir unseren Weg ohne ein Pferd als Reittier fort. Ich trauerte der entgangenen Chance noch lange hinterher und nahm mir vor, bei der nächsten Gelegenheit planvoller vorzugehen. Möglicherweise ließ sich aus Schlingpflanzen ein belastbares Seil flechten, mit dessen Hilfe ein kräftiges Tier wie ein Pferd eingefangen werden konnte. Ja, das sollte doch machbar sein! Ich wollte es jedenfalls versuchen. Wenig ahnte ich davon, nie wieder ein lebendes Pferd zu Gesicht zu bekommen. Es sollte das erste und letzte Mal gewesen sein.
Am Mittag des vierten Tags nach unserem Aufbruch (oder vielmehr unserer Flucht) aus Hyperion gelangten wir endlich in greifbare Nähe der lange herbeigewünschten und doch gefürchteten Wälder. Seit geraumer Zeit schon war die zuletzt recht karge Gegend vegetationsreicher geworden. Der Kasawar schickte langsam aber sicher seine Vorboten aus. Ebenso erwachte die Fauna wieder zum Leben, überall rührte sich etwas. Unzählige kleine Vögel in grasgrün schimmerndem Federkleid schwirrten schimpfend über uns hinweg. Mir gänzlich unbekannte Nager, die mit ihren buschigen Schwänzen an die bei uns heimischen Hörnchen erinnerten, huschten Baumstämme hinauf und blickten kopfüber argwöhnisch zurück. Eine Gruppe kleinwüchsiger Moas beobachtete uns Eindringlinge misstrauisch aus sicherer Distanz. Wie gerne ich die Jagd auf sie aufgenommen hätte! Es machte jedoch wenig Sinn, diesen extrem achtsamen Laufvögeln im immer unwegsamer werdenden Buschwerk nachzuspüren. Hier waren sie zu sehr im Vorteil. Nur ein überraschender Angriff aus nächster Nähe wäre erfolgversprechend gewesen, doch diesen Gefallen taten sie uns nicht. Ich schoss stattdessen zwei weniger achtsame Kaninchen, solange wir uns noch in annähernd übersichtlichem Gelände befanden. Beim glücklosen Versuch, einen der seidig behaarten Nager aus den Ästen zu schießen, musste ich einen kostbaren Pfeil abschreiben, der nicht mehr zu Boden zurückkehrte.
Unbeirrt folgten wir all die Zeit weiterhin der alten Straße, die laut Karte direkt in den Forst hineinführte, wissend, dass es keine Alternativroute gab. Mit sinkender Sonne und stetig länger werdenden Schatten stellte sich die allabendliche Frage nach einem Nachtlager.
„Wie lange wollen wir noch weiter heute?“ stellte ich das Thema zur Debatte. „Ich bekomme langsam Hunger.“
„Nicht nur du“, gab Krister zur Antwort. „Mir knurrt der Magen auch schon gewaltig. Lasst und für heute Schluss machen, wird ja doch bald dunkel.“
Wir wählten einen stattlichen Regenbaum aus, ein noch größeres Exemplar als gestern, in dem wir die Nacht verbringen wollten. Während Luke irgendwelches Grünzeug zu schnippeln begann und Krister die zwei Kaninchen ausnahm, erklomm ich den Baum, um mir ein Bild von der Umgebung zu machen. Noch befanden wir uns am Rand des Forstes, somit versprach ich mir nicht zu Unrecht einen einigermaßen guten Ausblick. Dennoch sah ich mich getäuscht. Zwar gab es in luftiger Höhe einiges aus der Richtung zu sehen, aus der wir kamen, dafür umso weniger aus der, in die wir gingen. Unbestreitbar erwartete uns dichter Urwald, mit Sicherheit ähnlich undurchdringlich wie in Ergelad oder Lavonia. Meine ganzen Hoffnungen auf ein weiterhin schnelles Vorankommen ruhten auf der Straße, die Kasawar und Hadramat zumindest der Karte nach sauber durchschnitt.
„Was gab’s zu sehen?“ erkundigte sich Luke nach meiner Rückkehr auf den Waldboden.
„Nicht viel. Unser Baum hier ist bei weitem nicht hoch genug, um zu überblicken, was vor uns liegt. Aber wenigstens eine Ahnung bekam ich davon.“
Krister sah von seiner blutigen Arbeit auf.
„Hat Avalea also nicht zu viel versprochen?“
Ich schüttelte naserümpfend den Kopf.
„Hoffen wir, dass uns die Straße weiterhin den Weg weist.“
Sie tat es. Jedenfalls zu Beginn. Je weiter wir in den Forst vordrangen, desto mehr nahm er von ihr Besitz. Streckenweise komplett überwuchert, gelang es uns nur schwer, sie nicht komplett aus den Augen zu verlieren. Und noch etwas nahm weiter zu: ein unheimliches Gefühl der Bedrohung. Zum wiederholten
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