Sentry - Die Jack Schilt Saga: Die Abenteuer des Jack Schilt (German Edition)
ein weiteres Wort die Augen. Ob er wirklich schlief, konnte Avalea nicht erkennen, die sich schweigend daran machte, ein Stück Seil aufzutrennen und aus den einzelnen Fasern eine Art Netz um den Findling zu weben. Der matt leuchtende Stein stellte eine hervorragende Lichtquelle dar, der noch gute Dienste leisten konnte. Nach getaner Arbeit umwickelte sie die heruntergebrannte Fackel mit dem Rest des Garns und befestigte mit geschickten Fingern den eingesponnenen Sonnenstein an dem Ende, wo sich einst mit Harz getränkter Stoff befunden hatte. Zufrieden betrachtete sie ihr Werk. Perfekt. An Licht sollte es ihnen hier unten künftig nicht mehr mangeln, mochte kommen was wollte.
Nachdenklich betrachtete sie die beiden schlafenden Menschen und wusste nicht mehr, ob sie einen großen Fehler begangen hatte, sich ihnen anzuschließen, Teil ihrer absonderlichen Reise zu werden. Aber hatte sie eine Wahl gehabt? Ihr Schicksal würde sich zusammen mit ihnen erfüllen, auf die eine oder andere Weise. Daran ging kein Weg mehr vorbei. Die Zeit war gekommen.
Sie hatten sich zur Ruhe begeben, als viele hundert Meter über ihren Köpfen der Morgen graute. Nun machten sie sich auf den Weiterweg, auch wenn keiner genau wusste, was darunter zu verstehen war. Das gigantische unterirdische Gewölbe, das versunkene Imperium der Ar-Nhim, war in seinen Ausmaßen nicht abzuschätzen. Von Sonnensteinen durchsetzt, tat sich vor ihnen ein hell beschienenes, unterirdisches Märchenland auf, so weit das Auge reichte. Mit nichts zu vergleichen, was sie bisher zu sehen bekommen hatten, wanderten die drei durch ein verlorenes, ödes Phantasiereich, das kein Ende nehmen wollte.
Irgendwann wichen die Felswände so weit ab, dass nur noch weites, unbegrenztes Land vor ihnen lag, das sich durchaus auch an der Oberfläche hätte befinden können, würde sich nicht weit über ihnen ein dunkler, mit Sonnensteinen besetzter Himmel spannen, der zwar verblüffend dem sternenklaren nächtlichen Firmament ähnelte, jedoch im Gegensatz zu diesem bedrückend eingrenzend wirkte. Nicht der geringste Laut ließ sich hier unten vernehmen, kein noch so kleines Vögelchen sang sein Lied, kein Insekt summte, kein Windhauch spielte im Haar oder rauschte in den Ohren. Es herrschte Totenstille. Nur ihre Schritte waren zu hören, der einzige Begleiter in einer ansonsten verstummten und erstarrten Welt.
Stunden um Stunden vergingen und nichts um sie herum veränderte sich. Irgendwann erreichten sie den Punkt, an dem sie sich zurücksehnten in die Enge des Tunnelsystems, das sie hierher gebracht hatte. Die unfassbare Weite dieses toten Landes atmete allgegenwärtige Bedrohung, die mehr und mehr an Intensität gewann.
„Ich halte es nicht mehr lange durch“, klagte Luke. „Hier wird man ja wahnsinnig.“
„Eine wirklich lebensfeindliche Umgebung“, bestätigte Krister. „Hier unten kann kein Leben gedeihen. Ich frage mich, wie die Ar-Nhim, wer immer sie gewesen sein mögen, es hier ausgehalten haben.“
Avalea begrüßte den Beginn einer Konversation, da sie die letzten langen Stunden überwiegend schweigend marschiert waren, und klinkte sich ein.
„Viel weiß ich nicht über die Ar-Nhim. Aber es muss ihnen hier gefallen haben. Wenn man den Aufzeichnungen der Forscher Hyperions glauben darf, haben sie viele Jahrhunderte in dieser Tiefe überdauert.“
„Unfassbar. Was haben sie hier nur in all dieser Zeit gemacht?“ Luke schüttelte den Kopf.
„Gelebt… und gewartet.“
„Gewartet? Worauf?“
„Darauf, eines Tages zurückzukehren.“
„Wohin zurück? An die Oberfläche? Ich frage mich, was geschehen wäre, würden sie es getan haben. Zurückzukehren, meine ich. Was wäre dann mit den Opreju geschehen? Am Ende hätten sich Opreju und Ar-Nhim in einem mörderischen Krieg gegenseitig ausgelöscht und die Menschen hätten in Frieden weiterleben können.“
Avalea lachte spöttisch.
„Diese Version klingt so unverbesserlich vermenschlicht. Krieg! Das ist etwas, das wohl nie aus den Hirnen von euch Menschen auszulöschen ist.“
Krister fühlte sich sofort angegriffen.
„Deine Kritik ist verständlich, aber unangebracht“, meinte er, um einen neutralen Ton in der Stimme bemüht. „Auch du bist ein Mensch.“ Das hatte er so eigentlich nicht sagen wollen, als Anerkennung oder gar Kompliment konnte Avalea es nicht auffassen, im Gegenteil.
„Ich bin kein Mensch“, erwiderte sie selbstbewusst. „Ich bin eine Skiava. Mag sein, dass ich
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