Sentry - Die Jack Schilt Saga: Die Abenteuer des Jack Schilt (German Edition)
Seiten. Seine zwei stelzenförmigen Beine, die an der Nahtstelle der beiden Flügel direkt am Hinterleib saßen, wirkten auf den ersten Blick wie ein Schwanz, der jedoch gänzlich fehlte. Mit jedem Flügelaufschlag schien das bemerkenswerte Tier ein Stück aufwärts zu fliegen, während es bei jedem Abschlag nach unten sackte, was ihm einen eigenwillig ruckartigen Flugstil verlieh, den ich noch bei keinem flugfähigen Wesen hatte beobachten können.
Wir drei Männer standen sprachlos da und glotzten uns die Augen aus dem Kopf. Vergessen waren Müdigkeit und Hunger. Der Anblick des quasi über unseren Köpfen schwebenden Fabelwesens, das weiterhin seine Kreise zog, hatte uns vollkommen in den Bann gezogen.
„Er hat keine Federn“, hörte ich Luke rufen. „Faszinierend, ein Vogel ohne Federn! So etwas habe ich noch nie gesehen!“
„Bist du sicher?“ fragte ich ihn, seinen außergewöhnlich scharfen Augen jedoch blind vertrauend.
„Völlig sicher!“ Luke verschlang das Tier förmlich mit seinen Blicken. „Sieht so aus, als sei sein Körper mit... ja, mit Schuppen überzogen, wie bei einem Fisch oder... oder einer Schlange. Und die Flügel wirken eher wie die einer Vossa. Was für großartige Lebewesen!“
„Eine Mischung aus Fisch, Schlange und Vossa“, fasste Krister atemlos zusammen. „Ich wünschte, es käme noch ein Stück näher!“
„Wünsch dir das besser nicht“, riet Avalea, die beim Anblick des Riesenvogels deutlich gelassener blieb. „Kommt, ziehen wir uns etwas zurück, das Vieh ist allem Anschein nach hungrig und ich möchte nicht herausfinden, ob es einen Unterschied zwischen Fischen und Zweibeinern macht.“
Naresums Schicksal drängte in mein Bewusstsein zurück. Etwas mehr Vorsicht konnte wohl nicht schaden. In dem Augenblick, als ich die Augen endlich von dem riesigen Tier losriss, hörte ich Luke, der bis ans Ufer vorgelaufen war, rufen: „Da! Er stürzt in den See!“
Aber es sah nur so aus. Der Muarwi fing sich kurz vor dem Eintauchen geschickt ab, eine Aktion, die man dem tollpatschig wirkenden Riesenvogel gar nicht zutrauen mochte. Nur sein langer Schnabel durchbrach die Wasseroberfläche, in dem ein silbrig schimmernder Fisch von beeindruckender Größe zappelte.
„Habt ihr das gesehen?“ rief Luke und wandte sich kurz zu uns um. „Mann, das ist ja unglaublich! Der Fisch war bestimmt anderthalb Meter lang!“
„Schrei nicht so laut rum“, rief Krister das Ufer hinunter. „Wir wollen das Biest nicht unnötig auf uns aufmerksam machen! Komm wieder her, hörst du!“
Nur widerwillig gehorchte Luke, der rückwärts stolpernd zurückkam, die Augen weiterhin auf den Muarwi geheftet. Aus der Deckung heraus beobachteten wir den achtungsgebietenden Jäger, bis er schließlich abdrehte, seinen lehmfarben schimmernden Körper hoch in den Himmel schraubte und alsbald in westlicher Richtung verschwand.
„Ich kann immer noch nicht glauben, was ich gerade sah!“ Luke, gänzlich ergriffen, zitterte förmlich vor Erregung. „Das nimmt uns zuhause niemand ab. Ich kann es selbst kaum glauben. Hoffentlich sehen wir noch andere Exemplare. Wenn ich nur etwas zu zeichnen hier hätte!“
Krister sah seinen Stiefbruder verächtlich an, verkniff sich aber die bissige Bemerkung, die auf seiner Zunge lag. Den Rest des Tages ließ sich kein Muarwi mehr blicken. Wir hätten es wahrscheinlich auch nicht gemerkt, der Schlaf hatte uns zu fest im Griff. Mir blieb jedoch das mulmige Gefühl, nicht zum letzten Mal einem begegnet zu sein.
Jeder Knochen meines Körpers schmerzte, als ich erwachte. Mir war schwindlig und Übelkeit stahl sich in meinen Magen. Mehrmals atmete ich tief ein und aus, ohne damit viel zu erreichen. Die Hitze machte allmählich mürbe. Leichter Wind war aufgekommen, das hatte es bisher hier unten noch nicht gegeben. Aber es handelte sich mitnichten um eine Erfrischung. Der glühend heiße Hauch strich unangenehm über die ohnehin aufgeheizte, zum Zerreißen gespannte Haut. Um nicht auf der Stelle zu Staub zu zerfallen, schleppte ich mich in das Kühlung versprechende Wasser. Der Temperaturunterschied war enorm. Ich watete gemächlich in den See hinein und tauchte unter. Ah, das tat gut!
Wie ich die Caldera verabscheute! Paradoxerweise befanden wir uns hier, an diesem extrem lebensfeindlichen Ort, erstmals seit langem wieder in einer kuriosen Art Sicherheit, die uns ohne Wachtposten und Deckung bedenkenlos schlafen ließ. Kein Lebewesen, das hätte gefährlich werden
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