Sentry - Die Jack Schilt Saga: Die Abenteuer des Jack Schilt (German Edition)
dem Gedanken, Wasser zu finden. Ich ließ ihn ziehen und achtete darauf, keinen allzu großen Abstand zwischen mir und den anderen entstehen zu lassen. Avaleas aber auch Lukes Schritte verlangsamten sich merklich.
Wir sahen den See lange bevor wir ihn erreichten. Seine tiefblau schimmernde Oberfläche tauchte plötzlich aus dem Nichts auf wie ein gigantischer Spiegel. Von einer Sekunde auf die andere. Wie verzaubert stand ich da und versuchte dieses Wunder der Natur zu erfassen. Nein, das war kein normales Gewässer, wie ich es kannte. Es erschien mir vielmehr wie eine überdimensionale Eisplatte, viele tausend Meter lang und breit, die in grauer Vorzeit vom Himmel gefallen war, mitten hinein in diese schneefarbene Kreidewüste. Es hätte mich nicht gewundert, würde man auf jenem Kristallspiegel laufen können, dahingleiten, wie im Winter auf den zugefrorenen Teichen im Stoney Creek meiner Kindheit.
Krister hatte das Ufer lange vor uns erreicht und brachte uns seinen prall gefüllten Wasserbeutel entgegen, dessen überraschend kühler Inhalt köstlich schmeckte. Etwas salzig, genau wie Avalea vorhergesagt hatte, aber durchaus genießbar.
„Trinkt!“ Krister reichte den Wasserbeutel von einem zum anderen. „Es ist nicht mehr weit.“
Im Uferbereich durchbrachen weiße Felsen die Oberfläche des Dalvetsees, die aussahen wie mächtige Hauzähne von der Größe eines aufrecht stehenden Menschen im Unterkiefer eines furchteinflößenden Fabeltieres. Langsam watete ich hinein in das – wieder war ich erstaunt – unerwartet kalte Wasser des Sees. Mit den Lippen berührte ich das kalkfarbene Gestein. In der Tat. Salz.
„Wie kann das sein?“ wollte ich von Avalea wissen. „Süßwasser umgeben von Säulen erstarrten Salzes. Das Wasser müsste meines Erachtens auch salzig sein, oder nicht?“
Die Gefragte zuckte mit den Schultern.
„Sei dankbar, dass es nicht so ist.“
Ich war also dankbar. Später führte ich die erfrischende Kühle des Sees auf das in seinen Ausmaßen unbegreifliche Becken zurück, aus dem unaufhörlich Wasser aus den Eisestiefen nach oben sprudelte. Eine Spekulation, weiter nichts. Ob es tatsächlich so war, konnte niemand bestätigen.
„Natürlich gibt es einen Weg hinaus aus der Caldera, Luke!“ Avaleas lapidar klingende Äußerung ließ mich aufhorchen. „Einen vielleicht nicht ganz einfachen, aber immerhin einen Weg.“
„Und wo?“
„Die Südspitze des Dalvetsees berührt den Kraterrand. Dort bietet sich eine Möglichkeit, die Caldera wieder zu verlassen. Nur – der Weg
dorthin
wird beschwerlich werden. Und lang. Verdammt lang.“
Die Reise zur Südspitze des Dalvetsees sollte neun Tage und Nächte dauern und lehrte uns die Bedeutung des Ausdrucks „beschwerlich“ in all seinen unangenehmen Facetten.
Wir verbrachten die sengend heißen Tagesstunden schlafend oder Fische jagend in den mit der Sonne wandernden Schatten der Salzsäulen, die das Ufer des Sees zu Tausenden säumten. Anfangs standen wir vor einem unbekannten Problem. An „normalen“ Seen fanden sich im Schlick des Uferbereichs Köder welcher Art auch immer. Käferlarven oder Würmer, Krebschen oder Wasserschnecken. Doch hier handelte es sich ganz offenkundig nicht um einen herkömmlichen See. Der kreideartige Untergrund, aus der die ganze Caldera bestand, setzte sich nahtlos im See fort und verwandelte sich dort in zähe, teigige Masse, die alles zu ersticken schien. So sehr wir auch wühlten und buddelten, wir fanden nicht die Spur von Leben. Nichts. Keine Muschelschalen, keine Schneckenhäuser. Aber Krister wäre nicht Krister, wüsste er nicht eine Lösung für dieses Problem. Er kletterte auf einen der mannshohen Salzfelsen und wartete geduldig. Es dauerte eine halbe Ewigkeit – und eine halbe Ewigkeit reglos in der sengenden Sonne sitzen ist eine Meisterleistung – aber schließlich war es soweit. Ein unvorsichtiger Fisch, der sich in die Untiefe vorwagte, wurde bis zur Unkenntlichkeit von Kristers aus der Höhe geschleudertem Salzbrocken zerquetscht.
Ein Köder!
Endlich!
Danach ging es flott. Die gefangenen Fische wurden säuberlich ausgenommen, in schmale Streifen geschnitten, mit dem in rauen Mengen zur Verfügung stehenden Salz eingerieben und aus Mangel an Brennholz in der prallen Sonne getrocknet. Bereits nach einer Stunde ließ sich das gedörrte Fleisch brechen.
Was wir nach der ersten Mahlzeit noch als schmackhaft erachteten, mutierte im Laufe der kommenden Tage zu einem wahren
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