Sentry - Die Jack Schilt Saga: Die Abenteuer des Jack Schilt (German Edition)
Kein Lüftchen ging. Wir marschierten durch einen endlosen Schmelzofen. Wieder und wieder der Griff nach den Wasserbeuteln, deren brütend warmer und immer widerlicher schmeckender Inhalt unbarmherzig abnahm. Wir tranken mit Bedacht, doch der Durst erwies sich stärker als jeder gute Vorsatz.
„Bei uns daheim sagt man, die Große Caldera sei ein riesiger Vulkankrater, der im Laufe der Jahrhunderte immer mehr in sich zusammengestürzt ist“, sagte ich irgendwann. Meine Zunge klebte im Gaumen wie ein Stück trockene Baumrinde. Die tonlose Stille der Wüste nagte gewaltig an den Nerven. Allein der Klang meiner eigenen Stimme wirkte beruhigend.
„Was nicht ganz der Wahrheit entspricht, Jack“, erwiderte Avalea. Es tat gut, sie zu hören. „Genau genommen handelt es sich hier um ein gewaltiges geologisches Becken, an manchen Stellen bis zu tausend Meilen breit. Dieses Becken reicht vom Taorsee bis ans Zentralmassiv und von Cimmeria bis hinein in die Vastitas, ist also um ein Vielfaches größer als die Caldera selbst. In Laurussia wusste man, dass in den Gesteinsschichten darunter fossiles Wasser lagert.“
„Fossiles Wasser?“ fragte Luke.
„Ja, Wasser aus versunkenen Seen und Wolkenbrüchen längst vergangener Zeitalter. Im Sediment ist es seit Jahrmillionen eingeschlossen und wartet erstarrt darauf, eines Tages wieder an die Oberfläche zurückzukehren.“
Ich lauschte fasziniert. Avaleas Wissensspeicher war wie immer eine Quelle der Inspiration. Vor meinem geistigen Auge sah ich ganze Seen langsam im Untergrund versinken, stellte mir vor, wie Unmengen lebensspendenden Wassers von kilometertiefem Gestein aufgesaugt für alle Ewigkeiten eingeschlossen wurde.
„Soll das heißen, wir laufen auf einem Meer aus Trinkwasser?“ fragte Luke begeistert.
„Streng genommen ja“, antwortete Avalea. „Es müsste nur angebohrt werden und würde von selbst an die Oberfläche schießen.“
„Leider habe ich gerade meinen Bohrer nicht dabei“, höhnte Krister, der der ganzen Thematik wenig abgewinnen konnte. Seine Gedanken kreisten unaufhörlich um seinen inzwischen leeren Wasserbeutel. Was kümmerte ihn ein unterirdischer See, wenn das kostbare Nass unerreichbar tief in der Erde lagerte?
„Wir werden wohl oder übel erst zu trinken bekommen, wenn wir am Ufer des Sees stehen, wo das fossile Wasser an die Oberfläche tritt.“
„Ich hoffe, dieses fossile Wasser ist trinkbar, sonst holt uns alle der Teufel“, unkte Krister.
„Keine Sorge“, beruhigte Avalea ihn. „Das Wasser wird wohl etwas salziger schmecken, als ihr es gewohnt seid, aber genießbar ist es auf jeden Fall. Stellt euch denn See wie die Spitze eines aus den Wolken ragenden Berges vor. Sie ist sozusagen das sichtbare Ergebnis eines seit Ewigkeiten andauernden Vorgangs. Irgendwann im Lauf der Jahrtausende waren die Sedimentschichten aufgefüllt und liefen schließlich über. Das Ergebnis ist der Dalvetsee. Übrigens der größte abflusslose See Gondwanas. Und der tiefstgelegenste dazu. Er liegt bis zu zweitausend Meter unter dem Meeresspiegel. Wenn wir sein Ufer erreichen, befinden wir uns am tiefsten frei zugänglichen Punkt der Oberfläche dieses Planeten.“
„Beeindruckend“, sagte ich sicherlich nicht zum ersten Mal. Für einen Moment vergaß ich unsere missliche Lage. „Dennoch verstehe ich eines nicht. Bei der Hitze hier unten muss Wasser doch in Nullkommanichts verdunsten. Müsste der See, wenn er nun doch schon so steinalt ist, nicht seit langem wieder verdampft oder zumindest zu einer Pfütze zusammengeschrumpft sein?“
„Ah Jack, du enttäuschst mich nicht“, sagte Avalea hintergründig.
„Das wollte ich auch schon fragen“, warf Luke ein, offenbar verärgert, es nicht vor mir getan zu haben. Krister grinste verächtlich beim Anblick des eifrigen Gesichtsausdrucks seines Stiefbruders.
„Die Antwort ist ganz simpel. Sie liegt in der Größe dieses unterirdischen Beckens. Es ist wie eine einzige unvorstellbar große Quelle, die die Verdunstung des Sees ausgleicht.“
Damit verstummte sie wieder, und wir stapften stoisch immer weiter in Richtung Westen. Endlose Stunden verrannen. Es ging stetig bergab, gleichwohl längst nicht mehr so dramatisch wie bei unserem „Einstieg“ in die Caldera. Krister hatte die Führung übernommen und war irgendwann so weit voraus, dass ich ihn aus meinem Blickfeld verloren hatte. Ich wusste, er sorgte sich beträchtlich. Er fühlte sich für uns alle verantwortlich und war besessen von
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