Sentry - Die Jack Schilt Saga: Die Abenteuer des Jack Schilt (German Edition)
Cantrells Beleidigungen berührten mich unerwartet heftig. Seine Grimasse zuckte jedoch keinen Millimeter zurück. Ich legte zornig nach: „Sieh an, was deine Wissenschaft aus dir gemacht hat, schau dich an, was aus dir geworden ist. Willst du allen Ernstes behaupten, noch ein Mensch zu sein, ein Lebewesen nach den Regeln und Gesetzen der Natur? Nicht im Geringsten. Die Natur hat nicht vorgesehen, dass eines ihrer Geschöpfe den Körper eines anderen raubt und ihn zu einem... zu einem lebenden Toten umfunktioniert. Ist es nicht das, was du Annachie Brennain angetan hast, du Mörder?“
Cantrell nahm die Herausforderung an.
„Ich rechne diese Ignoranz deiner Jugend an, Jack Schilt. Was zählt schon das Individuum? Was sind schon ein paar menschliche Existenzen auf dem Weg zum ewigen Leben?“ zischte er. „Ich bin guter Hoffnung, in absehbarer Zeit nicht mehr darauf angewiesen zu sein. Noch muss ich mich der Ressource Mensch bedienen, um fortzuleben. Noch...“
„Und zu diesem Zweck schickst du deine Häscher nach Aotearoa? Lässt Menschen wie Tiere jagen und verschleppen? Wieso ziehst du nicht eines deiner vielen ‚Kinder’ dazu heran?“
Mir graute abgrundtief vor diesem wahnsinnigen, sogenannten Wissenschaftler.
Cantrell winkte verächtlich ab. „Mein genialer Geist soll im Körper niederer, synthetisch erzeugter Wesen weilen? Nein, es muss ein natürlich geborener Mensch sein, jung und stark. Leider sind nicht alle dafür geeignet. Die Tests verlaufen viel zu oft negativ. Was für eine Vergeudung! Aber sie sterben nicht vergebens, sie tragen dazu bei, dass der Mensch eines nicht mehr all zu fernen Tages Unsterblichkeit erlangen wird, so wie die Ermeskul. Bevor – wie nanntest du ihn? Annachie? – ankam, logierte ich im Körper eines wunderschönen jungen Mädchens. Ah, wie sie um ihr kleines Leben flehte. Es tat mir fast ein wenig leid, ihren wohlgeformten Schädel aufzumeißeln, um Platz für mich zu schaffen. Sie wollte nicht einsehen, welche Ehre es für sie bedeutete. Schwer verständlich, fürwahr.“
Ich schluckte schwer. Ekel stieg in mir hoch. Ekel und Hass.
„Unglücklicherweise erwies sich ihr Körper als zu schwach, er hielt nicht einmal fünf Monate durch. Wusstest du, dass das menschliche Gehirn unter Idealbedingungen viele Jahrhunderte lebensfähig ist? Nein? Nun, jetzt weißt du es. Du siehst also, das Gehirn eines Menschen, die Zentrale seines Denkens und Handelns, ist dafür geschaffen deutlich länger zu existieren als das schwächliche Vehikel Körper, das es all zu früh im Stich lässt und mit in den Tod reißt. Die Menschen sterben bevor sie auch nur eine wirklich wichtige Erkenntnis erlangt haben.“
Hätte ich mir die Ohren zuhalten können, ich würde es getan haben.
„Die Natur wird Gründe haben, warum sie dem Menschen nur eine gewisse Lebensspanne zusteht. Woher nimmst du das Recht, dich über sie zu stellen?“
„Die Natur sieht auch nicht vor, durch den Kosmos zu reisen und andere Planeten zu besiedeln, und trotzdem bist du hier. Wäre es nicht so gekommen, existierte humanes Leben seit Jahrtausenden nicht mehr. Nirgendwo. Sei dankbar, Jack Schilt! Ohne die Wissenschaft gäbe es dich nicht. Ohne die Wissenschaft gäbe es uns ALLE nicht! Hätte der Mensch auf deine unfehlbare Natur vertraut, wäre er längst Geschichte, ausgelöscht und vergessen.“
Ich stellte mir die Frage, ob dies nicht die bessere Option gewesen wäre. Erstmals begann ich mich zu schämen, ein Mensch zu sein.
„Wenn die Menschheit aus welchen Gründen auch immer nicht in der Lage gewesen war, ihr eigenes Überleben auf ihrem Heimatplaneten zu sichern, hat sie es gewiss auch nicht verdient, woanders fortzuleben“, sagte ich mit ehrlicher Überzeugung in der Stimme. „Wie ich sehe, beging sie die gleichen Fehler auf Vestan und später hier auf Gondwana wieder. Vielleicht ist die Menschheit dazu bestimmt, sich am Ende selbst zu zerstören. Aber vielleicht sind nicht alle so. Die Menschen in Avenor versuchen, wie du bereits bemerktest, einen anderen Weg zu gehen. Den richtigen Weg, einen Weg ohne jede Wissenschaft, auf die du so stolz bist und die doch nur Aberwitziges hervorgebracht hat. Bezeichne mich nicht als beschränkt. Im Gegenteil. Beschränkt bist du. Glaubst du in der Tat über der Natur zu stehen, nur weil du einen Weg gefunden hast, dein Leben auf Kosten anderer zu verlängern? Und worin, frage ich, worin liegt der Sinn dieses langen Lebens? Ich will nicht behaupten, auch nur die
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