Sentry - Die Jack Schilt Saga: Die Abenteuer des Jack Schilt (German Edition)
sie.
Laura…
Sie trug die gleiche Kleidung wie am Tag unseres ersten Zusammentreffens. Das lange blonde Haar zu einem Zopf geflochten. Wie gütig sie lächelte, wie verständnisvoll und mitfühlend. Ihr liebevoller Blick traf tief. Nur einen verschwindend kurzen Moment lang, dann war sie wieder fort, die Verbindung getrennt.
„Laura?“ Mit weit geöffneten Augen wollte ich mich aufrichten, der Erscheinung hinterher eilen, doch die Fesseln hielten unerbittlich. Sollte ich sie wirklich nie wieder sehen? War ich nicht im Wort, zu ihr zurückzukehren? Der Gedanke, dazu nicht mehr zu kommen, ließ mich das bevorstehende Ende noch ein ganzes Stück weniger annehmen.
Aus den mir gewährten Minuten schienen Stunden zu werden. Weitere Versuche, die Fesseln abzuschütteln, endeten mit dem gleichen Resultat. Von da an verhielt ich mich ruhig. Noch mehr Energie zu verschwenden, machte keinen Sinn. Je mehr Kraft ich sparte, umso besser.
Irgendwann flog die Türe mit erschreckender Wucht auf. Mein Herzschlag beschleunigte sprunghaft. Wie viel Zeit war vergangen?
Zwei Skiavos (bemerkenswerterweise befand sich unter ihnen keiner von denen, die mich gefangengenommen hatten) stürmten herein. Ihre schwarzen Roben erinnerten wieder an die Uniformen der Bewohner Hyperions. Aus um ihre Hüften gebundenen Lederscheiden ragten die Schäfte zweier beeindruckender Schwerter hervor.
Sekunden später waren meine Fesseln gelöst, doch lag die Freiheit nie ferner. Mit auf den Rücken gedrehten Armen bugsierten mich Cantrells Schergen aus der Kammer hinaus. Jede Art Auflehnung war nutzlos. Ihre haushohe körperliche Überlegenheit schüchterte zudem mehr ein als erwartet. Hilflos wie ein Kind hing ich vornübergebeugt in ihrem Griff, darauf achtend, nicht zu stolpern und durch das eigene Gewicht die bis zum Zerreißen gespannten Schultergelenke auszukugeln. Die unnatürliche Haltung schränkte zudem mein Gesichtsfeld ein, die Augen blieben größtenteils auf den Stollenboden gerichtet. Wenig Ahnung hatte ich davon, wohin die Reise führte. Allein die Richtung ließ sich nicht verleugnen. Es ging stetig bergab. Die Abstände zwischen Licht und Schatten wurden größer. Lag es an der Erhöhung der Geschwindigkeit, mit denen wir in die Tiefe der Insel vordrangen oder eher am wachsenden Abstand zwischen den Lichtquellen? Ich tippte auf letzteres.
Mit einem derben Stoß in den Rücken endete die unbequeme Reise endlich. Meine Arme waren frei und fingen den Sturz ab
Wo war ich?
Der Blick zurück offenbarte die Silhouetten meiner Peiniger – und nicht nur ihre. Zwei weitere Gestalten befanden sich rechterhand, auch von ihnen erkannte ich nur vage Umrisse. Vier Gegner also, die den Weg zurück ins Licht versperrten... und wie viele in meinem Rücken?
Hinter mir tat sich gähnende Schwärze auf, keine Chance auch nur die kleinste Kleinigkeit auszumachen. Instinktiv schreckte ich vor dieser lautlosen Düsternis zurück. Irgendetwas warnte mich vor ihr – irgendetwas unbeschreiblich Bedrohliches lauerte darin. Auf allen Vieren kroch ich ins Licht, auf die Skiavos zu. Ihre drohende Haltung schreckte mich bei weitem weniger.
„Falsche Richtung, Jack Schilt! Es gibt kein Zurück mehr.“
Cantrell!
„Wo bin ich?“ In dieser kritischen Situation trösteten sogar die wenigen kalten Worte meines Gegenspielers.
„Dreimal darfst du raten.“ Höhnisches Gelächter. „Du wirst erwartet, hab also keine Angst.“
Es war also soweit.
Der letzte Akt begann.
Ein Lichtschimmer in meinem Rücken ließ mich erschauern. Äußerst bedacht wandte ich mich um, als tätigte ich meine letzten Bewegungen. Die unsichtbare Gefahr war keine mehr. Ich befand mich am Rand einer riesigen Grotte, nur wenige Schritte vor mir ging es senkrecht hinunter. Gelbliches Herbstlicht schimmerte aus der Tiefe empor. Von meiner Warte aus ließ sich ein Grund, so es denn einen gab, nicht ausmachen. Ich verspürte auch wenig Lust davor, näher heranzutreten, um es herauszufinden.
„Der Ar-Nhim Ghaia heißt dich willkommen“, hörte ich Cantrells garstige Stimme durch den Raum schallen. Erneut verspürte ich diesen merkwürdigen Trost, ihn in der Nähe zu wissen.
„Ich sehe ihn nicht!“ rief ich über die Schulter, als erwartete ich eine Art Hilfestellung.
„Keine Sorge, er ist nicht zu übersehen!“ Wieder Gelächter. „Ganz gewiss nicht.“
Mehr wissbegierig als ängstlich machte ich zwei Schritte nach vorne und wagte einen Blick in den Abgrund. Mit jeder Sekunde
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