Sentry - Die Jack Schilt Saga: Die Abenteuer des Jack Schilt (German Edition)
und so leise wie möglich schlüpfte ich hinaus. Das Knirschen des Kieses unter den Sohlen meiner neu gefertigten Stiefel hörte sich in der Totenstille, die über dem schlafenden Dorf lag, ohrenbetäubend an. Die Luft, kühl und feucht, ließ mich frösteln, als ich noch einmal innehielt und einen letzten Blick auf das Haus zurückwarf, in dem ich lebte, seit ich denken konnte und dessen schwarze Silhouette sich deutlich vom klaren Grau des frühen Morgenhimmels abhob. Natürlich hatte ich es im Laufe meines Lebens schon mehrfach für gewisse Zeitabschnitte verlassen, war aber bisher stets zurückgekehrt. Dessen war ich mir nun nicht mehr so sicher.
Erstmals beschlich mich das Gefühl, dass es sich hier und heute um einen Abschied ohne Wiederkehr handeln könnte. Die Konsequenzen meiner Entscheidung, Rob zu folgen, schienen erst jetzt real und greifbar zu werden. Welch ein Schock musste es für Vater sein, so plötzlich, innerhalb kurzer Zeit, ohne beide Söhne auskommen zu müssen? Selbstverständlich hatten mich Grübeleien wie diese schon vor Tagen geplagt, als der Gedanke reifte, Robs Verschwinden nicht tatenlos hinnehmen zu wollen. Jetzt wo es darum ging, den Plan in die Tat umzusetzen, kam ich mir wie ein Schwein vor, ohne ein Wort zu entschwinden. Für einen beunruhigend langen Moment glaubte ich, es nicht übers Herz bringen zu können. Dann wandte ich mich um und marschierte mit entschlossenem Schritt los.
Zwei dunkle Gestalten warteten bereits am verabredeten Treffpunkt, am Rande der Felder von George Adema, am Kiesweg hinunter zum Meer, wo das Boot lag. Sie entpuppten sich erwartungsgemäß als Luke und Krister. Wir begrüßten uns, als hätte keiner erwartet, den anderen hier vorzufinden.
„Wir tun es also wirklich“, erwiderte Krister meinen Gruß. Wir gaben uns die Hand. Luke folgte nur kurz zögernd seinem Beispiel.
Da standen wir nun wie eine kleine Gruppe Verschwörer, belastet mit dem Wissen, drauf und dran zu sein etwas zu tun, was den Zorn der ganzen Bevölkerung Avenors und darüber hinaus auf uns ziehen konnte. Jetzt war ich mir nicht mehr so sicher. Waren wir nicht tatsächlich komplett geistesgestört, das alte Tabu brechen zu wollen, das Avenor vor einer neuerlichen Invasion der Opreju schützte? Dennoch gab es nun keine Umkehr mehr, und hätte es eine gegeben, ich würde sie missachtet haben. Rob tatenlos im Stich gelassen zu haben würde ich mir niemals verzeihen können. Es würde wie ein Stigma bis zum Ende meiner Tage an mir haften und jeden neuen Morgen meines Lebens vergiften.
„Natürlich tun wir es!“ stellte ich bestimmt fest, auch wenn meine Stimme flackerte. „Gab es daran Zweifel?“
„O ja. Mehr als genug. Aber ich bin überzeugt von der Richtigkeit unseres Vorhabens. Ich weiß, wir tun nichts Unrechtes.“
Ich konnte Krister nur beipflichten.
„Dann geht es also jetzt los?“ Luke gelang es nur schwer, seine Aufregung zu verbergen. Doch um ehrlich zu sein, auch ich war bis in die Haarspitzen ergriffen von schwer zu beschreibender Unruhe. Was auch immer vor uns lag, es sollte jetzt beginnen.
Der erste Teil der Reise führte bei weitem noch nicht ins Unbekannte und sollte uns über die Insel Auckland an die Nordspitze von Cape Longreach bringen, wo wir eine Nacht zu verbringen gedachten. Das Felsenkliff des Kaps, durchlöchert wie ein Käse, würde uns angenehm als Lager dienen. Darüber hinaus kannte Krister dort von einer seiner zahllosen Erkundungen einen natürlichen Hafen (erreichbar durch eine Art Kanal, der die offene See mit einer Lagune verband, die weit ins Landesinnere reichte), der als erstklassiger Landungsplatz nutzbar war. Das Boot musste vor allem nachts gut gesichert sein. Nicht auszudenken, sollte es abhandenkommen. Wenn alles glatt verlief, der Wind nicht drehte und das Wetter sich hielt, würden wir am späten Nachmittag des morgigen Tages schon dort sein. Kristers Erzählungen nach wimmelte die seichte Lagune nur so von Yanduras, einer schmackhaften Krustentierart. Schon der Gedanke an den köstlichen Geschmack des Fleisches war es wert, die Lagune anzusteuern.
Wir warfen unser Gepäck ins Boot, das leise schaukelnd an seiner Anlegestelle schlummerte. Krister und Luke sprangen hinein. Ich löste die Leine, warf sie hilfreichen Händen an Bord zu und schob unser Gefährt ein Stück in die See hinaus, bis mir das Wasser der kühlen Tethys zum Bauch reichte. Dann zog ich mich an der Bordwand hoch. Krister hantierte bereits mit dem Segel herum.
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