Sentry - Die Jack Schilt Saga: Die Abenteuer des Jack Schilt (German Edition)
Rede gestellt, suchte Luke einen Augenblick zu lange nach einer Entschuldigung für sein Missgeschick. Es klang wie ein Peitschenknall, als der Handrücken von Anders Bergmark quer über das Gesicht seines Stiefsohnes zog.
„Anders!“ Der entsetzte Ruf der Mutter und das unterdrückte Schluchzen seines Stiefbruders ließen in Krister etwas zerbrechen. Lukes Unterlippe war aufgeplatzt und der wimmernde Junge versuchte umständlich, das Blut mit den Fingern zurückzuhalten. Lange hatte Krister dem ganzen zugesehen, um des lieben Friedens willen kein Wort gesagt. Damit war jetzt Schluss. Er klatschte in die Hände und sagte mit tonloser Stimme: „Bravo, Vater! Gut gemacht! Wie fühlt es sich an, ein wehrloses Kind blutig zu schlagen?“
Anders Bergmark wandte sich um. Er blickte in das entschlossene Gesicht seines einzigen Sohnes, das nur eines widerspiegelte: Verachtung und Abscheu. Sie starrten einander an wie Kontrahenten, die einen letzten Anlass suchten, den Kampf zu eröffnen. Doch geschah etwas Unerwartetes. Der alte Mann verließ wortlos das Haus. Alles hätte Krister erwartet, am ehesten den gewalttätigen Versuch des Vaters, den verloren geglaubten Respekt wieder zurückzugewinnen. Doch Anders Bergmark reagierte überraschend, er wählte den Rückzug. Den Einsatz von körperlicher Gewalt gegen seinen Sohn scheuend – etwas, das Krister nicht für möglich gehalten hätte – wählte er eine andere, in seiner Konsequenz schmerzhaftere Variante. Von diesem Tage an sprach er kein Wort mehr mit seinem Sohn. Luke ließ er fortan in Frieden.
Bald nach diesem Vorfall begann Krister mit dem Bau eines eigenen Hauses. Eigentlich hatte er es in der Nähe seiner Familie errichten wollen, doch rückte er von diesen Plänen ab. Mit der uneingeschränkten Hilfe Lukes, einiger Freunde (unter ihnen auch Rob und ich) und der Familie seiner langjährigen Gefährtin Sava entstand sein eigenes kleines Haus. Wie versprochen siedelte Luke um und bezog seine erste eigene Kammer.
Kurz nach der Fertigstellung starb Anders Bergmark. Eine Aussöhnung zwischen ihm und seinem Sohn hatte es nicht mehr gegeben. Luke jedoch musste dem alten Mann verziehen haben. Bei der Beisetzung vergoss er Tränen für den Menschen, der ihm ein zweites Leben ermöglicht hatte, war es auch noch so unerträglich gewesen. Ohne die Zustimmung von Anders Bergmark, ihn bei sich aufzunehmen, wäre Luke ein Waisenjunge in Van Dien geblieben und aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr am Leben.
Dank kräftigen Westwindes flog das Boot mit geblähtem Segel über die Wellen. Wir legten Meile um Meile in Nullkommanichts zurück. Doch gab uns das Wetter deutlich zu erkennen, wie jung das Jahr noch war. Der kühle Wind kroch durch die feuchte Kleidung und ließ uns frösteln. Hin und wieder lugte die Xyn durch die eine oder andere Wolkenlücke hindurch, aber es gelang ihr nicht, unsere kalten Gesichter zu wärmen.
Mit zunehmendem Wellengang steuerte ich das Boot näher an die Küste heran, nur um festzustellen, eine Landung – wenn sie denn hätte sein müssen – niemals bewerkstelligen zu können. Die steile Felsenküste, von gespenstischem Nebel eingewölkt, zeigte sich von ihrer feindlichsten Seite.
„Kennst du dich hier aus?“ fragte ich Krister irgendwann. „Gibt es irgendwo Landungsmöglichkeiten oder bleibt die Küste weiterhin so felsig?“
„Bis Kap Fol wird sich nicht viel ändern“, erwiderte er mit unbesorgter Miene.
„Kap Fol? Das erreichen wir selbst bei diesen günstigen Bedingungen erst frühestens morgen Abend, oder?“
Krister nickte. „Ja, das denke ich auch.“
Ich behielt die Küstenlinie weiterhin im Auge. Einmal entdeckte ich einen Strandabschnitt, der aussah als könnte man dort anlegen, doch war es noch zu früh für das Nachtlager. Über die Länge von gut einer Meile säumte heller Sandstrand das steile Kliff, zuweilen mit allerlei Buschwerk bewachsen. Wir zogen dicht daran vorbei. Drei Augenpaare blickten sehnsuchtsvoll hinüber. Ich musste zugeben, ich hatte das Geschaukel satt. Doch jetzt schon den Tag zu beenden – es durfte kurz nach Mittag sein – erschien nicht nur mir deutlich verfrüht.
„Na also“, sagte ich, nachdem wir vorbeigezogen waren. „Immerhin gibt es Landungsplätze. Wenn auch wenige.“
Ich beließ es zunächst dabei und packte einige Vorräte aus, zum größten Teil Reste der Yanduras vom Vorabend. Schweigend aßen wir und vertrieben wenigstens den Hunger.
Die nächsten Stunden
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