Sephira - Ritter der Zeit 2: Das Blut der Ketzer (German Edition)
die Nase stieg. Von oben besehen waren die Häuser und Straßen nur eine dunkle Masse. Hin und wieder trug der Wind ein Klagen an mein Ohr.
»Hier oben ist niemand!«, rief ich Sayd leise zu, der daraufhin Vincenzo nach oben schickte.
»Das ist also deine Heimatstadt«, begrüßte ich ihn in luftiger Höhe, denn als ich einst die Bekanntschaft der Assassinen machte, war mir Vincenzo als Venezianer vorgestellt worden. Dass dies nicht ganz die Wahrheit war, hatte er mir später offenbart.
»Ja, und du kannst mir glauben, sie hat bessere Zeiten erlebt.«
Als auch Sayd auf der Mauer war, machten wir uns an den Abstieg. Wir landeten in einer öden Straße, in der man bis zu den Waden in Unrat versank. Hier schien die Pest am schlimmsten gewütet zu haben, denn ich spürte keine einzige Menschenseele.
»Kommt hier entlang«, rief Vincenzo, der sich offenbar gut auskannte. Wir passierten alte Misthaufen, aufgeschichtete Holzmieten, die zum Teil schon geplündert waren, und verfallene Hütten. Der Boden unter unseren Stiefeln besserte sich erst, als wir weiter zur Stadtmitte kamen. Auch hier stank es nach Tod und Unrat. Ich hatte schon gehört, dass in Christenstädten die Nachttöpfe und sonstiger Abfall einfach auf die Straße geschüttet wurden. Über Latrinengruben verfügten nur wenige Häuser. Dass es so schlimm sein würde, hätte ich allerdings nicht gedacht. Als wir den Pferdestall erreichten, aus dem uns ebenfalls ein bestialischer Gestank entgegenströmte, sah ich, dass die armen Tiere in schmutzigem Stroh standen und das Wasser in ihren Tränken schlammig war. Hatte die Pest die Pferdeknechte hinweggerafft oder waren die Burschen geflohen? Mitleid mit den Tieren überkam mich, doch tränken würden wir sie erst, wenn wir unsere Freunde befreit hatten.
Nachdem wir uns vergewissert hatten, dass außer den Pferden wirklich niemand in der Nähe war, führte Vincenzo uns zu der eisenbeschlagenen Luke, die unter dem Stroh verborgen war. Ob die Männer, die hier die Pferde versorgt hatten, wussten, wohin dieser Gang führte?
Ein modriger Hauch schlug uns aus der Schwärze jenseits des Loches entgegen, der aber tausendmal besser war als der in der Stadt allgegenwärtige Gestank. Über eine kleine Leiter stiegen wir etwa einen Klafter tief hinab in einen Gang,der von Holzbalken gestützt und von Wurzeln beinahe zugewuchert war.
Mithilfe von Fenrir hackte ich mich durch das Gewirr, das mehr oder weniger dicht war, je nachdem, ob sich über uns ein alter oder ein junger Baum oder nur ein Busch befand. Manchmal war es mir, als würden Würmer mein Gesicht streifen, was mich früher nicht geschreckt hätte. Doch jetzt erinnerten sie mich daran, dass ich meine menschliche Lebensspanne längst überschritten hatte und bereits Futter für sie wäre, trüge ich nicht den Quell des Lebens in meiner Brust.
Nach etwa der Hälfte des Weges wurde der Gang höher, sodass wir uns nicht mehr gebückt fortbewegen mussten.
»Offenbar ist dem Hausherrn unterwegs das Geld ausgegangen«, mutmaßte Sayd im Flüsterton, denn weit waren wir wohl nicht mehr vom Haus entfernt.
»Oder er wollte einen Ort schaffen, an dem seine Familie bei Gefahr ausharren konnte, ohne gleich die Stadt verlassen zu müssen. Ein paar Schritte weiter gibt es zwei Räume, in einem davon habe ich das Kind gefunden.«
Was die Dschinn wohl mit der Kleinen angestellt hatten? Plötzlich fragte ich mich, ob es unter ihnen auch Frauen gab.
Doch bevor ich Sayd fragen konnte, erreichten wir die beiden angekündigten Räume.
»Ab hier sollten wir schweigen«, mahnte uns Vincenzo. »Das Weinen des Mädchens ist im ganzen Haus zu vernehmen gewesen.«
»Und die Dschinn hören gut«, bestätigte Sayd, und das waren dann auch schon die letzten Worte, die wir in der nächsten Zeit sprachen. So leise und vorsichtig wie möglich bewegten wir uns durch den Gang. Dass der Boden nach einer Weile mit Steinen gepflastert war, erschwerte uns das lautlose Fortbewegen.
Nach Stimmen lauschten wir hier unten aber vergeblich. Wie die Dschinn sich verständigten, wusste ich nicht, unsere Kameraden redeten sicher schon deshalb nicht, weil sie den Dschinn keinerlei Informationen zukommen lassen wollten.
Zum Ausstieg aus dem Gang führte eine Art Rampe, die aus Erde aufgeschichtet worden war. Sayd zog seine Dolche aus seinem Gewand. Ich wechselte Fenrir in die linke Hand und entsicherte meine Unterarmklinge. Nachdem Vincenzo, der sich hier bereits auskannte, Bretter beiseitegestellt
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