Sepia
Besonders, wenn Mama aus den Wolken spricht: Romkater.
Auch du, liebe Erika, schreibst gar nichts mehr über Bauwerke oder andere Kunst. Was macht Fellini? Arbeitet er an einem neuen Film?
Eli schreibt einen langen Brief, einigermaßen durch die Blume, Erlebnisse, Polen und Ludwig, als wäre es die Möglichkeit. Das Unmögliche – Todesschüsse, Todesstreifen – überspringt sie, als wäre das eine Nebensache, nicht der Rede wert. Aber die Liebe, wie seltsam, komisch, es sei nichts hinter der Sehnsucht – nur Müll. Naziparolen. Geld. Schlechter Geschmack. Das kann doch nicht wahr sein. Wenn ich du wäre oder er, ich würde einfach per Anhalter losfahren, vielleicht nach Mougins, auf dem Atlas liegt Mougins ziemlich südlich, fast am Meer. Picasso lebt in Mougins. Picasso hat sich diesen kleinen Ort in den Bergen am südlichen Meer ausgesucht. Ich habe mir den Babelsberg ausgesucht. Allerdings auf einem begrenzten Atlas. Ich würde gern sehen, wie sich einer als Kommunist, membre de Parti Communiste Français, entscheidet, dem der ganze Erdball zur Verfügung steht, die Frage ist, warum Mougins, warum nicht Dresden, ich würde, wenn ich du wäre oder er, erkunden, was Picasso grade malt oder formt. Vielleicht aus Beton, einem Material, das wir in unserem Kreis übermütig hassen. Dann würde ich nach Barcelona reisen, um mich im neuen Picasso-Museum eingehend mit seinen früheren Werken bekannt zu machen.
Oder besser erst Barcelona und dann Mougins. Oder ich käme trotz eurer Warnungen nach Rom, zu Fuß, per pedes apostolorum, wie Martin Luther, ich würde unter der Tiberbrücke im Schlafsack übernachten, damit ich noch Geld habe für einen Besuch bei Laokoon. Liebe Erika, Ludwigs grenzenlose Verdrießlichkeit macht mich krank.
Das noch: Die Wäscherinnen für Jürgens Film liegen in der Papiermülltonne. Das Projekt ist gestorben. Er inszeniert jetzt im Stahlwerk Brandenburg ein Theaterstück von einemSchriftsteller aus Prag, Havel. Hartmut, der aus Regie 3, du kennst ihn vielleicht gar nicht mehr, hat eine Übersetzung versucht. Ziemlich gut, wird gesagt. Ludwig müsste jetzt hier sein. Er und Jürgen, die hätten zusammen was auf die Bretter gebracht. Erst mal alle Rollen mit Laien besetzt. Dramatische Authentizität. Nur Laien können eine künstliche Sprache sprechen, dabei hölzern wie Marionetten auf eigenen Füßen gehen.
Eli steckt den Brief mit einem erfundenen gutbürgerlichen Absender in den Postkasten an der Straßenecke direkt neben dem Polizeirevier. Unter den Augen. Direkt in den Rachen. Das ist ihre neue Taktik. Die Briefe an Eli kommen in alter Taktik über die Zwischenstation Anton zum postverteilenden Pförtner. Der rätselt und fingert an den Briefumschlägen. Als wenn da immer was drinstecken würde. Er schnuppert. Ein Kuvert im Kuvert. Mal Mitteilung machen, später mal. Pförtner Kurt hockt in seinem Lutherstuhl. Der Wecker tickt.
Erika schreibt diesmal umgehend, und Anton hat umgehend funktioniert.
Liebe Eli, klar kenne ich Hartmut, Lernpate von Meng, Hartmut Zapf, der mit siebzehn schon Vater geworden war. Niemand sollte das wissen, aber alle wussten – es stand ja in seinen Papieren bei Frau Gieram im Sekretariat. Liebe Eli, klar würde ich gerne, wie Du es Dir wünschst in der Welt herumwandern. Aber mir fehlt die Zeit jetzt mit drei Kindern und vor allen Dingen auch Geld. Also woher nehmen und nicht stehlen? Oder willst Du eine Bank ausräubern oder wie willst Du das machen? Selbst wenig musst Du erst mal haben.
Liebe Erika, ich würde mir die Haare abschneiden lassen. Für dreißig Zentimeter Frauenzopf, hat mir ein Maskenbildner erzählt, zahlt einer im Westen 300 Mark.
Liebe Eli, das ist eine gute Idee. Ich habe mich erkundigt, inRom wird sogar noch mehr gezahlt, für blondes Haar umgerechnet um 450. Nun zu Fellini. In
8 ½
habe ich in einer Tumultszene, wo Kinder in einem Weinfass baden, eine besorgte italienische Mama gespielt, ich fange meinen Enrico, trage ihn auf dem Arm eine Stiege hinauf ins Nest. Außerdem siehst Du mich zweimal in weißen ballettartigen Sequenzen als Brunnenmädchen. In dem Film geht die Zeit kreuz und quer. Ein Traum, sogar ein Traum im Traum, ineinandergeschachtelt. Federico dreht jetzt schon wieder, irgendwie hilflos mit schlechter Laune, er tut mir leid. Manche meinen, er habe sich mit
8 ½
aus einer Krise befreit, ich sage nein, im Gegenteil, er hat darin ziemlich schonungslos seine heutige Leidensmiene entworfen. Um die einfältige
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