Sepia
muss nicht mehr wässern, denn in diesen ewig himmelblauen Tagen sorgt der Nachttau für die Blumen und für das restliche Sommergrün, sogar für ein paar zeitige Birkenpilze.
Holzhacken ist eigentlich eine Winterarbeit, aber bei Birke ist es gut, wenn man den Stamm gleich, frisch gefällt, in Kloben sägt und in Scheite haut. Eli hackt gerne Holz. Es ist keine Frage der Kraft, sondern der List. Die schwierigen astdurchwachsenen Stücke sind am besten. Keil, Axt und ein standfester Hauklotz in guter Höhe. Allmählich wächst rings um den Klotz ein Wall aus duftenden Birkenscheiten. Darüber sieht man Elis Kopf und in weitem Bogen die genau zielende Axt.
So was traut man Eli nicht zu. Der Depotchef verbietet so was. Der Arbeitsschutz untersagt so was von Gesetzes wegen. Arbeiten zum Spaß. Ohne Vertrag und Unterschrift.
Zum Spaß arbeiten, das ist verboten.
Vor der Mittagspause versammeln sich alle um die neue Grasmähmaschine, einen kleinen Traktor mit rotierenden Messern, die soll im nächsten Jahr zum Einsatz kommen, erst mal auf den Kurzrasenflächen im Marlygarten und um die große Fontäne. Die Sensenbrigade bleibt weiter bestehen. Das ist Beschluss, und Eli darf wiederkommen, wenn sie Geld braucht und wenn sie fertig ist mit dem Film.
Meng Hai-Feng nimmt dankbar die Birkenpilze. Eli, du Kamerad. Drei Pilze, etwas Zwiebel und viel Kartoffeln, das gibt deutsche Bratkartoffeln. Im Brachland sammelt er wilde Rauke, die hackt er mit seinem scharfen chinesischen Messer.
Ein Abschiedsessen für Parsi. Bitter-süß und etwas sauer. Wohin Parsi gehen wird, darüber will er nicht reden. Er darf nicht. Offiziell wohnt er bei Fatme, seiner Mutter. Sie lebt jetzt in einer Neubauwohnung in Zwickau. Parsi in Zwickau? Es sind die blauäugig Weltfremden, die darüber staunen. Die politischenKöpfe wissen Bescheid. Parsi geht in die Illegalität. Er kämpft mit der Kamera gegen den Pfauenthron, gegen Schah Reza Pahlavi und sein korruptes Regime.
Hartmut hat aus dem Russenmagazin Wodka, saure Gurken und Erdnüsse besorgt. Von dem Wodka wird man nicht betrunken und nicht müde. Es wird viel Feinschnitt aus der Dose geraucht, gedreht und in Pfeife. Eli bleibt wach bis zum Morgen. Sie reden, debattieren, streiten oder diskutieren über die Atomkraft, die Physik und die Höhle von Lascaux. Jemand weiß, dass das ein Ort in Frankreich ist. Jemand weiß, dass man die Höhle neuerdings, um die Steinzeitbilder zu retten, nicht mehr betreten darf. Ein schwarzer Schimmelpilz habe sich, seit die Menschen drin herumspazieren, in der Höhle am Fels festgesetzt. Sie reden über die Kraft der neuen Bombe, über Radioaktivität. Wie das einmal sein wird, kein Leben mehr auf der Erde. Die Menschen fort, dafür gut aufgehoben die Höhlenbilder.
Eli spielt für ihre Gage einen kleinen dürren Mann in Häftlingskleidern. Sie muss über einen Platz rennen, so schnell sie kann, an den anderen vorbei, dann mit den anderen zusammen in einer Menschenwoge. Das Lager rennt, es hat sich befreit. Es ist ein Fußballplatz, doch vor der Kamera steht das schmiedeeiserne Tor. Eisenbuchstaben. Der Regisseur dreht Totalen, dann auf der Ebene und aus dem Blick der Erlösten. Eli rennt. Die Hauptdarsteller rennen. Geschonneck trägt den kleinen Jungen, das befreite Buchenwaldkind. Jetzt, im Tumult fängt das Kind an zu weinen. Ein wahres Glück so was, der Kleine hat Angst, lass ihm die Angst. Lasst ihn schreien! Erwin, lass ihn heulen, und pack ihn, schleppe ihn unter dem Arm. Das ist gut. Weiter, schrei, heule. Das ist gut. Weine, Junge. Lauft vorbei. Achtet nicht auf ihn. Schaut nicht auf das Kind, rennt, lauft weiter. Vergesst den Hunger, seht das offene Tor, die Freiheit.Lass das Kind runterfallen, leg es auf die Erde, Erwin, jetzt könnte es zertrampelt werden. Jetzt in diesem Augenblick. Freiheit. Die Szene kostet kein Geld. Nur noch drei Einstellungen. Kamera ab, fertig, wir drehen. Das Kind auf der Erde. Die Fußlappen, die zerrissenen Schuhe. Eine achtlose Herde, keine Helden, eigentlich Material.
Gute Filme entstehen am Schneidetisch, am Tisch bekommt der Film seine Seele. Ein erfolgreicher Regisseur hat gesagt, man muss bei der Endmontage auf die liebsten, die besten Szenen verzichten, das sagte nicht der berühmte Russe Eisenstein, das hat der in Amerika lebende Billy Wilder gesagt, kill your darling, kill, kill, kill. Aus kärglichem Material kann nicht einmal die Meisterin Moni einen guten Film machen. Da hilft nicht mal Musik. Im
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