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Sepia

Sepia

Titel: Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Schuetz
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künstlerischen Betriebsbüro. Einer winkt über die Straße, aber Ludwigist nicht gemeint. Ein anderer hebt die Hand. Ludwig müsste eigentlich froh sein, dass ihm niemand zuwinkt, aber er möchte in dieser kurz bemessenen Zeit dazugehören. Leben fortsetzen. Man müsste einfach mal hingehen. In die Theaterkantine oder direkt auf die Probebühne. Der Hafer sticht. Was kostet die Welt. Ludwig mit Sonnenbrille in Sommerlaune. Er wickelt den Trenchcoat zu einer Rolle. Er setzt sich auf die Steinbank am Friedrichstadtpalast, genau gegenüber vom Berliner Ensemble. Er zieht den rechten Schuh aus. Darin hat er zwischen Brand- und Einlegesohle seinen alten blauen Personalausweis versteckt, den hat er aus Nostalgiegründen aufgehoben und wohlweislich, aber auch ziemlich leichtsinnig mitgenommen. Den steckt er jetzt in die Brusttasche, während er den Bundespass mit der Westberlinadresse im Sportbeutel unter einer Lederlasche verbirgt. Aus dem linken Schuh holt Ludwig drei Hunderter Ostgeld hervor. Mit dem blauen Ausweis ist er kein Westbesuch mehr, sondern der frühere Ludwig-Ost. Damit ist der Weg frei, raus aus Berlin, nach Leipzig, Dresden, ins Erzgebirge. Ludwig fährt mit dem sogenannten Sputnik über Genshagen, Saarmund, Bergholz-Rehbrücke, dort umsteigend, mit dem sogenannten Zubringer nach Drewitz, er stopft das Reclamheft, seine Reiselektüre, in die Hosentasche, er spurtet dreimal 800 Meter und ist kurz vor 22 Uhr in der Tauber-Villa und ungesehen unter dem Dach. Er atmet. Er wischt sich den Schweiß von der Stirn und aus den Augen, vielleicht auch eine Träne, jedenfalls kommt er sich vor wie ein Salzfass. Ein Farbfoto, Jung-Ludwig auf dem Balkon vom Stalin-Haus, steht in Elis Bretterregal vor den Büchern. Er wischt sich die Augen. Er atmet und schickt einen Blick aus dem Fenster in den Himmel, also ins Nichts. Wenn Eli in den nächsten Minuten nicht kommt, wird er wieder verschwinden, als wäre nur sein Geist hier gewesen, er wird das Geld hinlegen, einen Gruß und den künftigen Lebensplan: Morgen gegen 14 Uhr stehe ich am Ufer.Jetzt immer sonntags 14 Uhr. Dein alter Uferuhu Llullu, der neuerdings ganz in deiner Nähe nistet, in Fluglinie 9 Kilometer.
     
    Es ist nicht leicht, ein Taxi zu finden. Ludwig und Eli haben Glück. An der Rathauskreuzung wartet ein Wartburg. Der Taxifahrer sollte in der Eisenbahnerkneipe einen Kunden abholen, aber der hat um diese Zeit noch keine Lust auf sein Heim. Er hat sich grade noch Bier und ein Schnitzel bestellt.
    Eine Berlinfahrt, warum nicht, aber das kostet was. Ludwig zahlt im Voraus. Neunzig Minuten bis zur Friedrichstraße. Eli bringt kein Wort mehr heraus, sie hört zu, was Ludwig vom Leben erzählt, meist scheußliche Sachen, von Paris, désert populeux, wie er die Traumstadt jetzt nennt, und Rom, popoloso deserto, noch viel schlimmer, Hakenkreuze an den Häuserwänden und Tante Inge, also die Ingeborg Bachmann, die immer mit ihren Ungeheuern namens Hans, er, Ludwig, hätte am liebsten eine Hütte im Wald und mal wieder ein sowjetisches Gürkchen.
    O mein Waldmensch, mein Wandersmann. Eli denkt an die Klamotten, die ordentlich am Bügel über dem Besenstiel hängen. Jägermantel, eine gestrickte Mütze in der Manteltasche. Eine Hütte im Wald, Rom, eine Stadt, wo schiefe, vertrocknete Palmen und eitle Säcke herumstehen. Letztere im Café Greco, eitel, dumm, ohne Talente. Ingeborg Bachmann, die Hochverehrte, ein verdrehtes Dämchen, das aus Liebeskummer mit Worten spielt.
    Eli denkt, dann bleibe doch, bleib doch hier.
    Ich suche dir eine Hütte. Ich weiß auch schon wo.
    Ludwig fingert seinen Pass unter der Lederlasche hervor. Er steckt Eli den Personalausweis zu. Nicht noch einmal. Weg damit, wirf das bitte in die Spree. Eli hält die blaue Pappe fest. Mach ich, sagt Eli.
    Mehr Abschied war nie.
    Jetzt heißt es, Ohren anlegen, sagt Ludwig. Es ist, weil die Falle jetzt zuschnappen könnte, dann kannst du mich im Rummelsburger Bau besuchen. Vielleicht verschafft dir dein Dekan eine Besuchserlaubnis. Vielleicht gibt es für Arbeiterkind Rafaela ein Extrapapier. So viel Angst, so viel Bitternis. Ist das Liebe?
    Taxis kurven herbei. Es geht wie am Schnürchen. Drei Minuten bis Mitternacht. Eine Schlange entsteht an der Stirnwand der Bahnhofshalle, ein Besucherstau vor dem Türchen, wo es hinausgeht.
    Ludwig wendet den Blick. Über der zurückbleibenden Menschenwolke der rechte Ärmel einer abgescheuerten Lederjacke, eine Grußhand, ein einziges Fingerlein. Eli.
    Dann

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