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Sepia

Sepia

Titel: Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Schuetz
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Fräulein. Frau Gottschalk trägt ihr Fläschchen herbei. Von wegen Herzarznei. Frau Gottschalk kichert, heute ohne Umschweife, Goldi, also Goldbrand. Dass Sie nicht auf den Kopf gefallen sind, habe ich gesehen. Sie, still und fleißig, mit Ihrem Zettelkram in der Bäckerei, meine beiden Mädel wussten auch, was sie wollten. Zum Wohl.
    Frau Gottschalk zieht mit, sie ist einverstanden. Im Erkerzimmer, der Ofen ist frisch umgesetzt. Überhaupt ist Frau Gottschalk stolz auf ihre Öfen in der Wohnung. Nur Brikett, die sind knapp, da hat Frau Gottschalk nicht über diesen Winter hinweg vorgesorgt. Es sind noch welche im Keller, aber wenig. Weil ich ja umziehe, hoffentlich noch vor der großen Kälte. Kein Problem, sagt Eli, obwohl es eins ist oder werden könnte. Ein Winter ohne Kohle. Aber schließlich besitzt sie ja immer noch den Jägermantel. Kommt Zeit, kommt Rat. Und immer wächst das Rettende auch. Oder: Wer wagt, gewinnt.
    Frau Gottschalk zeigt Eli das große fast leere Erkerzimmer, ein königliches Reich.
    Eli jubiliert im Stillen. Frau Gottschalk schenkt ein.
    In einem kleinen Hinterzimmer in der Schornsteinecke steht ein Schreibtisch mit einer Büroschreibmaschine. Dort wird Eli das Dokument an die Wohnraumlenkung aufsetzen, morgen, denn morgen ist auch noch ein Tag für Unterschriften und Erledigungen.
    Heute wird Eli in die Tauber-Villa gehen, sie wird beim Hausmeister einen Handwagen erbitten für ihre Bücherkisten, die sie morgen mitnehmen wird, sie will aus dem Möbellager der Schule eine Matratze ausleihen, heute wird sie noch mal irgendwo in einem Internatsbett, vielleicht bei Jürgen, pennen, vor allem aber wird sie in der großen Vorführung auf ihrem roten Stammplatz sitzen, sie wird sich hineinlümmeln in das geliebte Polster, in den warmen Mutterschoß, um einen Film von dem spanischen Regisseur Luis Buñuel zu sehen, vorher unbedingt noch in die Bibliothek zu Frau Felber. Könnte sein, die Tüchtige hat eine Abbildung von Laokoon mit dem Pollak-Arm aufgetrieben. Dass Kunert kein Dia besitzt, beschreibt nur, dass es etwas mehr braucht als Fleiß, es braucht eine Spürnase und Glück. Außerdem hat Kunert sämtliche Kunstkisten mit der Diasammlung beiseitegestellt. Er kümmert sich nicht mehr um Bilder und Skulpturen, er macht jetzt Stummfilmseminare, nächstens vielleicht sogar Kybernetik, also etwas Übergreifendes in einer anderen Abteilung.
    Frau Felber ist unser Schatz, weil sie mitdenkt, mitfühlt, einfach im Stoff steckt, und nicht nur in einem, sondern in allen Stoffen, ob Kamera oder Regie oder Kunstgeschichte, wie macht sie das bloß? Sie lebt in den Texten der Studenten, sie kennt die Lücken und Schwachstellen. Sie merkt sich die Signaturen, die Titel der einschlägigen Literatur. Einen Bezug, den man selbst längst wieder vergessen hatte.
    Das ist Frau Felber, zu Hause im Wohnzimmer hinter der Nähmaschine nahe am Fenster eine Mutter, die schneidern kann, Röcke nähen, Hosen säumen, Mutter Felber versteht was von Stoffen und Textilien und sogar von Mode. Die Fatmeröcke hat sie neuerdings kürzer gemacht. Auf einem Fußbänkchen neben der Nähmaschine kann man auf die Änderung warten, eine Handbreit über dem Knie, das ist heutzutage die richtige Länge. Mini. Von Textilien ist es vielleicht nichtweit zu geschriebenen Texten, Mutter und Tochter, aufgehoben in verwandten Passionen.
    Frau Felber träumt wahrscheinlich von Examensarbeiten. Sie sorgt sich, während die Studenten im Strandbad liegen, so heißt es inzwischen.
    Eli, dein Laokoon lässt mir keine Ruhe. Eli, ich habe was für dich. Fotos in einem ganz neuen Kunstbuch.
    Eli sieht es mit einem Blick, leider wieder nur Abbildungen mit dem falschen Arm.
    Wie er fast fünfhundert Jahre richtig war. Fünfhundert Jahre Gewohnheit, das ist Geschichte und Wahrheit. Soll es immer dabei bleiben?
     
    Eli kommt zu spät. Der Vorführsaal ist längst überfüllt.
    Der Pförtner lässt keinen mehr rein. Der Hausmeister hat Notsitze erlaubt, aber einmal muss Schluss sein. Eli wartet zusammen mit lauter unbekannten Gesichtern, nur Meng Hai-Feng ist wie Eli von den alten Hasen, beide zu spät. Sie harren vor der von innen bewachten Tür. Der Vorführer holt schon die vierte Filmbüchse vom Stapel im Flur. Aus seiner Kabine hört man Musik und Geräusche, Pferdewiehern. Die Tonspur.
    Das hat keinen Zweck mehr, der Film läuft, steht hier nicht rum, der Vorführer versucht, den neuen, ziemlich vorlauten Studenten die Regeln klarzumachen.

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