Sepia
Meckern hilft nicht, das ist hier nicht Mode, das könnt ihr euch gleich abgewöhnen. Montag früh um acht, Filmgeschichte, da dürft ihr alle Mann wiederkommen, da dürft ihr euch in der Vorführung breitmachen, jetzt ist der Laden dicht, und zu Eli sagt er: Tut mir leid, Eli, du verpasst was.
Langes Weilchen nicht gesehen, sagt Meng. Er plaudert vom Licht, das er heute von der Technik bekommen hat, er versucht, seine Genugtuung auszudrücken. Eli, ich glücklicher Mensch.
Freue dich, Meng. Eli hört nicht mehr, was Meng fleißig auf Deutsch palavert. Wut und Trauer bilden in Eli eine böse Melange.
Du bist zu spät gekommen. Eli lehnt an der Wand. So wird man vielleicht Terrorist oder Partisan in eigener Sache. Brandstifter. Man müsste ein Streichholz in die Pförtnerloge werfen, direkt unter das Kissen vom Lutherstuhl. Ja, so macht man sich zum Affen, zum Affen kalter Götter. Hausmeister, Pförtner, Filmvorführer. Filmvorführer müsste man sein.
Viridiana
ist ein Schwarzweißfilm. Der Film hatte in Cannes bei den Filmfestspielen einen Preis bekommen. Spanische Landschaft, spanische Schauspieler.
Im ersten Jahr Filmgeschichte hatte Eli von Salvador Dalí und Buñuel
Der andalusische Hund
gesehen. Das frisch geschärfte Rasiermesser, der Vollmond, ein Wolkenpfeil, das Auge der Frau, Messer, Auge, auch wenn der Kenner an den Wimpern sieht, es ist im nächsten Schnittbild das Auge einer Kuh, der Schauer bleibt, wenn in großer Perle das Augenwasser hervorbricht, wenn, statt Blut, schwarze Ameisen aus der stigmatisierten weißen Hand des weißen Mannes quellen, wenn zum Schluss Mann und Frau, bis unter die Achseln im Sand eingepflanzt, wie seltsame Gewächse den Strand des Meeres beleben. Sprechende Agaven.
Noch im dunklen Saal Ludwigs Stimme: Glaube mir, das bedeutet nichts, und das ist es.
Bis heute und wahrscheinlich für immer im Gedächtnis. Ludwigs Atem, der warme rote Sessel. Es bedeute nichts.
Eli wartet neben dem gutgelaunten chinesischen Freund, sie lehnt einfach lange genug an der schalldichten Wand. So lange, bis die Wut verschwindet. Die Wand ist grau, jemand hat mit einem Taschenmesser oder mit einem Schlüssel in Augenhöhe den Putz abgekratzt, als sollte später mal ein Guckloch daraus werden. Eli kratzt mit dem Fingernagel. So lange, bis sichdie graue Wand ein bisschen rot färbt. Die Saaltür schwingt auf.
Musik. Abspann. Die Ersten kommen schon aus dem Saal. Vorboten, Einzelne noch wie im Traum. Dann zieht ein Schwarm an Eli vorbei. Ein warmer Atem. Weiche Gefieder. Niemand redet, niemand drängt, niemand bleibt stehen. Eine stumme Vogelschar. Fromm, andächtig, melancholisch und aggressiv.
Bis das erste Wort fällt. Ein Wort, das Eli noch nie gehört hat. Galdós. Es ist ein Name, es ist der Name des Autors, der den Roman
Halma
geschrieben hat, nach dem der Film gedreht worden ist. Galdós, nie gehört.
Halma
, nie. Es ist ein Schreck und ein Glück, was gibt es denn noch auf der Welt?
Es hat wieder gar keinen Zweck, den Pkw-Fahrer zu bitten, noch eine zweite Vorführung zuzulassen. Er käme, wie er sagt, mit unseren Ansprüchen noch in Teufels Küche.
Eli schläft in Jürgens Bett in der Villa schräg gegenüber der Tauber-Villa. In Elis Bude unter dem Dach wohnen inzwischen zwei Neue. Jürgen fährt zu seiner Freundin, Schneiderin am Hans-Otto-Theater. Sie wohnt gleich neben den Theaterwerkstätten, gleich neben Sanssouci, in einem leeren Gewächshaus einer stillgelegten Gärtnerei, dort hat sie schön viel Platz zum Malen, und Jürgen hat inzwischen seinen sämtlichen Kamerakram mitgenommen. Er bastelt an einem Trickfilm mit Puppen. Ein Wäscherinnenwintermärchen.
Eli, wenn du in Sanssouci arbeitest, dann komm uns bitte besuchen. Du arbeitest doch manchmal in Sanssouci.
Oft, sagt Eli. Ich darf dort in Leistung arbeiten, weil ich im Gartenbau den Gehilfinnenabschluss habe.
Jürgen gibt Eli den Zimmerschlüssel. Auch deswegen hat Eli im Flur des Hauptgebäudes so lange gewartet, sie hat gewartet, gezürnt und gehofft, mit dem Fingernagel die Wand zerkratzt,bis der Film zu Ende war, bis Jürgen ihr den für den Notfall versprochenen Schlüssel übergeben konnte.
Und morgen, wo pennst du morgen?
Ich habe was in Aussicht.
Dann bin ich froh, denn du kannst ja nicht unter der Brücke schlafen und bei mir im Kamerahaus ist es schlecht, es gibt halt Luchse, die gerne meine Bude haben wollen, weil ich oft bei Gritti bin.
Keine Sorge, es geht nur um heute, einmalig, die
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