Sepia
dunkle unergründlich fromme Ölbild über dem Chaiselongue mit scharfen Augen, trotz alledem und jetzt erst recht. Sie tippt wunderbar auf dem hohen klapprigen Schreibkasten. Hiermit erteile ich, Klara Gottschalk, geboren, wohnhaft, Fräulein Rafaela, geboren am und in, innerhalb meiner im ersten Stock des Hauses Ernst-Thälmann-Straße 27 liegenden Wohnung im sogen.Loggiazimmer das unbeschränkte und uneingeschränkte Wohnrecht.
Frau Gottschalk verfolgt mit gefalteten Händen, was die Typen auf das DIN-A4-Papier hämmern, Buchstaben, eine Botschaft. Sie nickt bei jedem Komma und Punkt.
Loggiazimmer möbliert, möchte Frau Gottschalk der Richtigkeit halber eingefügt haben. Eli tippt. Sie setzt dazu: Mit Küchen- und Badbenutzung, inklusive Gas und Warmwasser. Nun ist Frau Gottschalk wieder am Zuge. Unterschrift. Stempel. Frau Gottschalk kichert.
Das sieht gut aus. Doch Frau Gottschalk und Eli sind noch viel schlauer. Erst fragt Eli nach dem Hausbuch, wo alle Einwohner des Hauses mit Geburtstag und Beruf in entsprechenden Zeilen und Spalten eingetragen werden. Auch Verwandte, die über Nacht zu Besuch hierbleiben, tragen sich an vorgesehener Stelle ein. Eli setzt ihren Namen nicht unter die Besucher, sondern unter die echten Einwohner. Die ständigen Mieter. Aufenthaltsdauer: immer und ewig. Wieder mit Stempel: Gottschalk, verw. Eigentümerin. Dann bückt sich Frau Gottschalk zum Unterschrank, sie entnimmt eine Kassette sowie, nun endlich, das braune Goldifläschchen. In der Kassette verwahrt Frau Gottschalk das Mietgeld und die Buchführung, ein Oktavheft, wo die Haushaltungsvorstände monatlich die Miete quittieren. Mieterin Eli schreibt ihren Namen in das Heftchen, sorgfältig, leserlich, als habe sie schon einen vollen Monat gezahlt. Noch vor dieser Helga Jäger und dem Herrn Filmregisseur Horst Simon. Mögen die beiden bei hellem Tag und bei Nacht im königlichen Erkerzimmer so lange schlafen, wie sie es nötig haben, wen kümmert es. Eli hat eine Bleibe gefunden, Chaiselongue, Küchen- und Klobenutzung.
Prost, Frau Gottschalk.
Prost, Fräulein Eli. Frau Gottschalk hebt ihren lindgrünen Stamper, kippt das braune Getränk und schüttelt sich fröhlich.Sie übereicht Eli ein Schlüsselpaar, der große Bart für unten, der andere für die Wohnung. Prost.
Eli tritt aus der Haustür. Spatzen hüpfen, manche fliegen hoch zu dem dunklen Loggialoch zur dortigen Futterkiste. An den Fenstern im Erkerzimmer hängt weißer Stoff. Wahrscheinlich Rupfen aus der Dekoabteilung oder aus der Kostümschneiderei. Rupfen gibt es in verschiedenen Farben und Stärken. Man kann sehr viel damit anfangen. Rupfen und Bastkisten, damit lässt sich leben. Eli geht. Leider steht das Fahrrad noch im Keller der Tauber-Villa. Zu Fuß sind die Wege etwas weiter, und man hat einen niedrigen Blick.
Nach dem nächsten Briefkasten muss Eli nicht lange suchen, gleich hängt ein zweiter und an der Ecke ein dritter am Weg. Es ist eine briefkastenreiche Gegend. Eli entscheidet sich für den an der Ecke. Auf den Briefen, die sie hineinfallen lässt, steht der Absender Thälmann-Straße. Lieber Anton. Liebe Erika. Ludwig, Liebster, der Dachvogel nistet, schmachtet, neuerdings Thälmann-Straße auf einer Chaiselongue, die zum Inventar von Frau Klara Gottschalk gehört.
Der Dachvogel ist ein Hühnervogel, eine Henne, die das Fliegen vorerst verlernt hat.
Weiter zu Fuß.
Drei Stufen, ein Vorraum, ein Dienstzimmer, seitlich ein Stabeisengitter, Tür und Klappe für das Publikum. Ein Schreibtisch mit Telefon, ein Wachtmeister, diensthabend, gutgelaunt, aber misstrauisch. Behutsam schiebt Eli die betreffende Seite des pfleglich behandelten, in Packpapier eingebundenen Hausbuchs unter sein Auge, unter seine Hand mit dem Füllfederhalter.
Der Wachtmeister überträgt die neue Adresse vom Hausbuch ins Melderegister und dann auch noch in Elis Personalausweis, nicht ohne Eli darauf hinzuweisen, dass sie reichlich spät kommt, nicht ohne das gehörige Stirnrunzeln und dasdarauf folgende Gnadengesicht. Das nächste Mal – wie es im Kinderlied heißt: Pass besser auf und mach mit uns die Mode. 25 Bauernmädchen, die suchen sich einen Mann. Eins der Bauernmädchen muss nach dem Aufbruch der flinken Schar übrigbleiben, denn die Spielregel stellt immer zu wenig Burschen bereit. Für die Übriggebliebene brüllen wir dann das Ende vom Lied. Da steht sie ja und hat keinen Mann und ärgert sich zu Tode. Das nächste Mal pass besser auf und mach mit uns die
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