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Sepia

Sepia

Titel: Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Schuetz
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Mode.
    Das nächste Mal wird umgehend angemeldet, haben wir uns verstanden?
    Ehrenwort, sagt Eli.
     
    Eli benutzt nicht nur Gaskocher, WC und die Wasserhähne in Küche und Bad, sondern auch Frau Gottschalks Büroschreibmaschine. Lieber Lu, Liebster, ich bin neuerdings wieder mit Maschine, wartend.
    Eli hat unterdessen mehrere Fahrten nach Berlin unternommen, Expeditionen mit Bus und Bahn, manch einer macht das jeden Tag, es ist Alltag, die Lage, die Teilung der Stadt, genauer: Die Abschottung des Ostens vom Westen, die Trennung sämtlicher Wege, die Umleitung ist perfekt und lang. Die Dauerfahrer lesen oder lernen Vokabeln, manche haben feste Fahrgemeinschaften gegründet, sie haben Stammplätze in den Waggons und spielen Skat. Eli fährt bis Alexanderplatz, von da aus läuft sie zur Museumsinsel.
    Pergamon, das steinerne Theater im Pergamonmuseum wird dich weiterführen. Ein guter Rat von Dozent Kunert an die Absolventin Rafaela Reich, ein nützlicher Hinweis, die mühsame Annäherung an das antike Kunstwerk Laokoon betreffend. Kein Ersatz für Roma. Denken Sie darüber, wie Sie wollen. Damit war Kunert schon wieder verschwunden, davongesegelt mit seinen abstehenden Ohren. In einen überfüllten Seminarraum.Kunstgeschichte, Filmgeschichte, Kybernetik, egal, sein Laden ist immer voll, wird immer Interesse finden.
     
    Eli sitzt stundenlang auf den Marmorstufen, mal oben mal unten. Oben spürt sie die versuchte Gottgleichheit, das freie Fliegen, Mut und all die anderen fröhlichen Anmaßungen, die nur zum Absturz führen können, unten sieht man den wunderbaren Weg, die weißen Stufen, das schöne Material. Schaffensfreude.
    Eli in Pergamon. Wo die Zeiten aufeinanderliegen. Die Griechen, Troja und Roma. Es heißt, der Pergamonfries sei gar nicht so lange vor der Skulpturengruppe des Laokoon entstanden.
    So viel Kampf. So viel Stein. So viele bewaffnete Menschenleiber. Unsterbliche, also Götter, uneins, zerstritten, die von oben und die von unten, das Himmelsensemble um Gottvater Zeus gegen die Erdenschar um Mutter Gaia. So viel Zorn, so viele Waffen: würgende, wahrscheinlich auch giftige Schlangen, wilde Löwen, stampfende Pferde, Pfeile, Fackeln und Blitze, Felsbrocken, Fallen und Hinterlist. Den Kampf beenden kann nur ein Sterblicher, also ein echter Mensch, denn nur der kann töten. Herakles zum Beispiel.
    Die Himmelsschar hat sich sterblicher Handlanger bedienen müssen.
    Von Herakles sind im Fries der Götter und Giganten nur wenig Spuren geblieben, ein Pferdehuf, die Tatze seines Löwenfells. Der große Rest liegt noch irgendwo in Pergamon, schlummert im Berg oder ist zu Straßenschotter zermahlen worden.
    Ein Sterblicher aus nämlichem Geist ist Laokoon. Er wurde nicht als Handlanger gerufen, im Gegenteil, er musste als Warner oder Aufwiegler, jedenfalls als Störenfried der Götterpläne, mit Hilfe von Schlangen beseitigt werden.
    Eli sitzt auf den Stufen, sie skizziert das, was so ähnlich ist und damit höchstwahrscheinlich Ähnliches meint. Ein marmorfester Refrain: Ich bin ein Trojaner.
    Athena, die Göttin, steht für das Schicksal der Welt. Sie packt sogar persönlich zu, zerrt und zaust den Erdmuttersohn Alkyoneus grob in den Haaren. Rechts oben schwebt Nike herbei, zielstrebig, mit dem Siegeskranz für Athene. Unten aus dem Erdgrund taucht mit erhobenem Füllhorn Mutter Gaia auf, groß, aber in diesem großen Augenblick ziemlich am Rande. Es lebe Pergamon. Es lebe der König.
    Die Aufsichtskraft tritt einige Schritte näher, bis zur unteren Stufe der steilen Treppe. Es ist ein Herr in einer dunkelblauen Uniform. Er schüttelt seine Armbanduhr aus dem Ärmel, locker, golden liegt sie auf seinem Handrücken. Er müsste jetzt eine Anmerkung machen, weil Eli sich nicht nur kurz mal auf die Stufen gesetzt hat, sondern seit Stunden verweilt. Das könnte zum Ärgernis werden. Es ist schon lange ein Streitpunkt unter dem Personal, ob das Sitzen auf den Marmorstufen erlaubt, geduldet oder strikt untersagt werden soll. Er will nichts von seiner Uhr, er steckt sie wieder unter die Manschette. Er würde nichts dagegen haben, wenn man gelegentlich auf dem Marmor ausruht oder Platz nimmt, er sieht ja, dass die junge Dame Umrisse, auch Einzelheiten des Frieses, in ihr Heft skizziert.
    Warum gerade Erdmutter Gaia?
    Soll ich Ihnen mal was zeigen? Rote Farbe, noch original, die nämliche Farbe wie oben in einem Buchstaben der Inschrift, der Fries war gewiss in bestimmten Teilen ursprünglich koloriert.
    Eli folgt

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